Marena Weller - Künstlerin & Pädagogin in Theater & Tanz

01.08.2021
Alumnae & Alumni Stories
Marena Weller | © Tobias Kreft

Schauspiel, Tanz oder Interdisziplinarität? Warum nicht alle drei?

Marena Weller: 
Künstlerin & Pädagogin im Bereich Theater & Tanz

Salzburg

 

Was machen Sie beruflich, mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich?

Ich bin derzeit an der hauseigenen Schauspielakademie des Schauspielhauses Salzburg als Lehrende für Tanz, Körper und Akrobatik tätig und bin freischaffende Künstlerin, Schauspielerin und Pädagogin in den Bereichen Tanz und Theater. Oft verknüpfen sich hierbei die Disziplinen Schauspiel und Tanz miteinander und es gehen die Kompetenzen des einen Bereichs mit denen des anderen einher. Dadurch, dass ich in unterschiedlichen künstlerischen Bereichen ausgebildet bin, spielt Interdisziplinarität in meiner Arbeit eine große Rolle. Die emeritierte Universitätsprofessorin Helmi Vent, Leiterin des Lab Inter Arts (LIA), ist mit ihrer kreativen Arbeit im interdisziplinären Kontext federführend.
Ich war und bin in der freien Szene, wie dem Schauspielhaus Salzburg, in Stücken für unterschiedlichste Zielgruppen tätig, war auf Touren im In- und Ausland unterwegs und mehrfach bei den Salzburger Festspielen als Tänzerin engagiert. Hierbei konnte ich u.a. mit Tänzer*innen der Ballett-Compagnie des Salzburger Landestheaters arbeiten. Außerdem wurde ich zu unterschiedlichen Theater-Festivals, z.B. nach München und Stuttgart, mit eigenen Tanzstücken eingeladen. Darüber hinaus habe ich auch selbst bereits inszeniert und Regie geführt.

Gibt es ein konkretes Projekt an dem Sie aktuell arbeiten?

Ich inszeniere am Schauspielhaus Salzburg ein Stück für Kleinkinder und „Jedermann“. Es ist ein interdisziplinäres, partizipativ angelegtes Projekt mit Bewegung, Musik und Sprache, das den Titel „Einladung zum Ball“ trägt. Ich inszeniere es mit dem ersten Jahrgang der hauseigenen Schauspielakademie. Erste Proben fanden bereits statt und die Premiere wird im Oktober zu sehen sein.

Sie haben am Mozarteum Elementare Musik- und Tanzpädagogik, also ein kunstpädagogisches Fach, studiert und am Schauspielhaus Salzburg eine Schauspielausbildung absolviert. Wie kam es zu dieser Entscheidung? War es für Sie immer klar, wohin Ihr Weg gehen soll?

Mein Interesse für Musik, Tanz und Theater kam früh, ich konnte mich jedoch nicht recht für eine Disziplin entscheiden. Während des Studiums bemerkte ich, dass mich der Theater- und Schauspielbereich extrem reizt. Durch verschiedenste Impulse während des Studiums habe ich meinen Weg gefunden. Die Ausbildung am Orff-Institut war sehr breit gefächert, ich habe das nötige Handwerk gelernt, um Dinge selbst in die Hand zu nehmen und mich als Kunstpädagogin und später auch Künstlerin fundiert und differenziert artikulieren und positionieren zu können.

Wie sieht die Ausbildung am Orff-Institut aus und wie kann ein Berufsbild später aussehen?

Carl Orff hat einen Ansatz entwickelt, wie man mit allen Menschen, nicht nur im frühkindlichen Bereich, worauf das Orff-Institut leider oft reduziert wird, jeden Alters sehr niederschwellig, aus dem Elementaren heraus ins künstlerische Tun kommen kann. Künstlerisches Tun im Sinne eines ganzkörperlichen Ausdrucks aber vorrangig durch Musik, Tanz und Sprache. Der Ansatz impliziert, dass das, was in mir an Ressourcen innewohnt, bereits eine unerschöpfliche Quelle der Kreativität ist und dass in fast jedem Menschen ein Bedürfnis nach Ausdruck steckt. Viele singen nicht, weil sie meinen es nicht zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Tanzen, dem Musizieren und allem anderen was mit Kunst zu tun hat. Dabei geht es doch gar nicht darum, virtuos sein zu müssen. Diese Annahme hindert viele daran, sich überhaupt mit ihrem eigenen künstlerischen Potential auseinanderzusetzen. Es kommt nicht darauf an, was man kann und wieviel man gelernt hat, sondern allein, dass man es tut und erlebt, wie bereichernd es sein kann, sich künstlerisch auszudrücken. Und zwar ohne Dilettantismus und mit entsprechenden künstlerischen Ansprüchen, oft zunächst in elementaren, basalen Strukturen. Das Begleiten von kreativen Prozessen, die Entwicklung, der sprichwörtliche Weg, der das Ziel ist, bildet den Fokus des Studiums. Dabei kommt man sich selbst und anderen sehr nahe. Das Studium ist in hohem Maß persönlichkeitsbildend.
Das Berufsfeld eines Orff-Absolventen hängt sehr stark davon ab, welche Schwerpunkte im Studium gewählt wurden und welche Zusatzqualifikationen und -ausbildungen man sich erworben hat. Es reicht von der eigenen künstlerischen Betätigung über die kunstpädagogische Arbeit mit jeglichen Zielgruppen, Kindern bis hin zu Senior*innen oft auch im integrativen Bereich, mit großen und kleinen Gruppen oder Einzelpersonen. Ein*e Orff-Absolvent*in ist sozusagen häufig die personifizierte Flexibilität und Performer*in in Personalunion. Vieles im Arbeitsalltag geschieht im Rahmen von unterschiedlich groß angelegten Projekten in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Arbeitgebern wie pädagogischen Institutionen, Ausbildungsstätten, Vereinen, anderen Künstler*innen Theatern, Konzerthäusern, Orten, an denen Kunst gezeigt und praktiziert wird, der Stadt, dem Land, in der Weiterbildung und in Bereichen, die sich erst in den letzten Jahren erschlossen haben und auch weiterhin tun, welche sich nicht mit einem Pauschalbegriff zusammenfassen lassen, im freien Bereich sozusagen. Die musikalische Früherziehung ist ein Feld, in dem Orff-Absolventen*innen meist sehr schnell einen Job finden, denn die Nachfrage ist sehr hoch. Außerdem sieht man an Kindern, dass die Trennung der einzelnen Ausdrucksdisziplinen kaum möglich ist und sie fast automatisch alle Ausdruckssprachen zugleich ausleben. Erst später erfolgt die Unterteilung in einzelne Disziplinen. Das dem Kind Innewohnende ist unserer Ausbildung also von Grund auf sehr nah. Es ist aber grundsätzlich so, dass uns die Ausbildung am Orff-Institut nicht automatisch dazu befähigt, den Musikunterricht an Schulen oder den Instrumentalunterricht an Musikschulen zu übernehmen, das ist meist nur für die Schulmusik- oder IGP-Student*innen möglich. Dieses Thema hatte zu meiner Studienzeit schon großes Diskussionspotential, weil viele sehr wohl über die nötigen Kompetenzen verfügen würden, um in diesem Bereich tätig zu sein, vor allem die, die ihr Instrument als Schwerpunkt gewählt haben. Auf der anderen Seite stellt sich dann die Frage, welches Äquivalent denjenigen, die den Schwerpunkt Tanz oder MTSI (Musik und Tanz in sozialer und integrativer Arbeit) gewählt haben, zur Verfügung stünde. Denn die Befähigung, ein Instrument an Musikschulen unterrichten zu können, eröffnet einem natürlich viele berufliche Möglichkeiten, welche diejenigen mit anderem Schwerpunkt dann nicht hätten. Ein*e Orff-Absolvent*in wird, egal was er oder sie tut, den Menschen immer in seinem ganzkörperlichen Ausdruck wahrnehmen und entsprechend unterrichten. Musik, Tanz, Sprache und alle anderen künstlerischen Ausdrucksmedien können so nie isoliert voneinander existieren und gehen immer miteinander einher, bereichern einander sogar, sodass eine Disziplin von der Integration einer anderen profitiert. Die Klavierschüler*innen von Orff-Absolvent*innen werden demnach beispielsweise sicher nicht „nur“ am Klavier musizieren, sie werden z.B. den Rhythmus eines Stücks als Schrittabfolge durch den Raum erleben, die Melodie selbst singen oder am Klavier selbst weiterentwickeln und sich eine gestische Choreographie zu einigen Passagen überlegen. Die Schüler*innen werden so angeleitet, dass es ihnen selbstverständlich und in dem Moment alternativlos erscheint, Musik vielfältig am ganzen Körper zu erleben. Die Klavierschüler*innen werden ihre Instrumente somit als Quelle kreativer Gestaltung auf mehreren Ebenen erleben und so einen individuellen Zugang zur Kunst an sich finden und erleben, dass Kunst mitten im Hier und Jetzt, aus dem affektiven Tun stattfinden kann. Eines erschließt sich organisch aus dem anderen. Ich möchte diesen Ansatz anderen Musikpädagog*innen in keinem Fall absprechen, aber das Orff-Institut legt klar seinen Fokus darauf. Musik, Tanz und Sprache wird vielerorts getrennt voneinander unterrichtet, was ohne Frage auch großartig ist. Wir verbinden aber die einzelnen Komponenten miteinander und das ist für viele ein neues Terrain, worunter man sich nicht so viel vorstellen kann. Hat man diese Symbiose einmal erlebt, erschließt sich der Mehrwert von ganz alleine. Dieser Ansatz existiert meiner Meinung nach also nicht in Konkurrenz, sondern parallel zur konventionelleren Kunstpädagogik.
Es gelingt trotzdem immer wieder, dass wir Orff-Absolvent*innen über Umwege oder Hintertüren an Schulen oder Musikschulen unterrichten, z.B. über die musikalische Früherziehung oder Workshops/Projekte. An einigen Schulen gibt es Tanz als eigenständiges Fach, auch da gibt es Möglichkeiten für uns. Eine Kollegin von mir unterrichtet Tanz am musischen Gymnasium. Schulen und Musikschulen sind eben oft verlässliche und auch inhaltlich reizvolle Arbeitgeber in einem Arbeitsfeld voller Jobs auf Zeit. Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, lehrend an einer Universität, Hochschule oder Akademie tätig zu sein, so wie ich es tue. Ich arbeite außerdem oft in der Fort- und Weiterbildung am Musikum, am Zekip (Zentrum für Kindergartenpädagogik) und im Bildungshaus St. Virgil.
Es gibt viele Wege ins künstlerische Tun zu kommen, ohne vorgefertigte Texte, Choreographien oder Musikstücke als Ausgangsmaterial haben zu müssen oder gar zu kopieren. Dieser Ansatz funktioniert auf absolut jedem künstlerischen Niveau. Das Stück, das ich gerade entwickle, entsteht anhand dessen, was mir meine Studierenden anbieten durch Ideen und Fragen, durch angeleitete Improvisationen, die ich an sie stelle. Meine Aufgabe ist es dann, das Material zu sortieren, differenziert in einen Kontext zu setzen und in der weiteren Stückentwicklung konsequent der entstandenen Intention zu folgen. Man muss klar wissen, welche Absicht man hat und ein geschultes Auge, Ohr und Feingespür haben, denn sonst kann diese Arbeitsweise schnell im Chaos enden. Außerdem ist die Art der Kommunikation, die Umgangsweise mit den Darsteller*innen und die strukturell durchdachte Anleitung jedes einzelnen Puzzleteilchens immens wichtig. Das Gefühl für den passenden Moment, die richtige Wortwahl hat sehr viel Gewicht. Zwischenmenschliches Taktgefühl und Reflexion sind demnach für mich unumgänglich. Gerade mit Berufskünstler*innen kann man hierbei entsprechend virtuose Endergebnisse erleben.
Die Herangehensweise an interdisziplinäre und partizipative Projekte ist an das Tanztheater angelehnt, das allen voran die Tänzerin Pina Bausch begründet hat. Das Tanztheater hat damals eine neue Kunstsparte eröffnet im großen Fahrwasser der zeitgenössischen Kunstszene. Am Beginn steht keine fertige Choreografie, sondern Fragen, Themen und scheinbare Belanglosigkeiten, mit denen in der Folge ein ganzes Stück entwickelt wird. Tänzer tanzen und bewegen sich nicht nur, sie singen, sprechen, malen oder interagieren gestisch und mimisch. Sie werden zum ganzkörperlichen Ausdrucksmedium. Die einzelnen Disziplinen verbinden sich und erschaffen ein neues großes Ganzes. Oft wird ein Thema tiefgründig, bis an die Grenze des Möglichen ausgeschlachtet. In der zeitgenössischen Kunst wird generell selten nur an der Oberfläche gekratzt und es kann extrem und vor allem sehr ehrlich, mitunter schockierend werden. Oft wird einem der Spiegel vorgehalten, das Erlebte ist überraschend, überwältigend bis unangenehm, meist beeindruckend und mitunter „Wert es sich zu merken“, also bemerkenswert. Es bleibt etwas zurück - reichhaltig und nachhaltig im besten Fall. Meist landet letztendlich nicht alles, was auf entsprechenden Proben erarbeitet wurde, auch im Stück. Das ist normal und Erfahrung hilft hierbei in Bezug auf Effizienz. Stücke sind demnach oft eng mit der Individualität der Darsteller*innen verknüpft. Der ganze Mensch mit all seinen persönlichen Erlebnissen, Ansichten und Erfahrungen steht im Tanztheater im Vordergrund. Ähnlich wie bei Carl Orffs kunstpädagogischem Ansatz.

In den letzten beiden Jahren hat sich vieles in der Kunst auf digitaler Ebene abgespielt. Wie haben Sie das in Ihrer Arbeit erlebt?

Als Mutter eines kleinen Sohnes habe ich mich im letzten Jahr etwas zurückgenommen, aber ich musste natürlich meine Studierenden an der Schauspielakademie digital unterrichten und tat das in Form von textlich formulierten Aufgaben, die die Studierenden per Video lösen mussten. Danach erfolgte ein Feedback auf diese Videos. Die Aufgaben waren eher nicht tanztechnischer, sondern kreativer Natur, die abseits von Willkür, präzise durchdacht eine individuelle Umsetzung und Genauigkeit in Bezug auf den Fokus der Aufgabe forderten. Im Großen und Ganzen waren die meisten der Studierenden über einen langen Zeitraum hinweg sehr motiviert dabei, allzu lange trägt sich das allerdings nicht. Der persönliche, und speziell im Tanz, auch der körpernahe Kontakt ist einfach unersetzlich. Die individuelle Betreuung und Begleitung in Form von persönlichen Nachrichten hat sie bei der Stange gehalten. Das hat mich sehr viel Zeit gekostet, aber letztendlich hat es sich ausgezahlt und die Studierenden konnten sich trotz all der Umstände weiterentwickeln. Eine große Herausforderung, aber gleichzeitig auch Chance war, dass so wenig Platz für die Umsetzung der Videoaufgaben zur Verfügung stand. Denn wie soll man Tanz auf zwei Quadratmetern ausführen? Es gibt tatsächlich viele Möglichkeiten und oft steckt sogar in der Limitation das Potential zur Entfaltung. Eine Aufgabe war zum Beispiel die Erarbeitung einer Choreografie nur mit den Händen nach einem bestimmten Kompositionsprinzip à la „Ich packe meinen Koffer“.
Ich konnte durch die Niederschwelligkeit des Onlineformates auch selbst an Onlinetrainings renommierter Tanzkompanien teilnehmen, wozu ich sonst nie gekommen wäre. Damit hat sich auch in der Weiterbildung für Künstler*innen Neues erschlossen.

Wird aus dieser Erfahrung heraus etwas bleiben, das Sie weiterführen wollen?

Ich sehe einen großen Mehrwert darin, dass sich die Studierenden durch ihre Aufnahmen selbst beobachten und das Getane reflektieren müssen. Aufnahmen sind ein gutes Medium zur Selbstkorrektur, zur Optimierung und Verbesserung. Die meisten sind sehr selbstkritisch und tun sich schwer, sich selbst auf Video zu sehen. Ich kenne das auch. Die Studierenden haben aber mit der Zeit gelernt, konstruktiv damit umzugehen. Daher werde ich diese Methode auch weiterhin gezielt einsetzen. Grundsätzlich haben sich durch die Digitalität Möglichkeiten aufgetan, von denen wir nicht wussten, dass sie funktionieren. Es steckt ja z.B. eine gewisse Nachhaltigkeit darin, nicht überall hinreisen zu müssen, um an etwas teilnehmen zu können. Man kann in kürzerer Zeit mehr Kunst oder Trainings konsumieren. Selbstverständlich wird das nie eine Live-Veranstaltung ersetzen. Das muss es aber auch nicht, wenn die Alternative bedeutet, etwas gar nicht zu erleben, wie es bei mir oft der Fall war. Manches lässt sich durch digitale Formate auch leichter in den Alltag (mit Kind) integrieren. Ich hoffe sehr, dass der digitale Treff an sich auch in anderen Bereichen beibehalten wird. Durch die Digitalität haben sich, auch abseits von und bereits vor Covid, künstlerisch viele neue Möglichkeiten ergeben. Eine Kollegin hatte mit ihrem Ensemble für Alte Musik das Publikum um digitale Abstimmung zum Ausgang einer Barock-Oper befragt, um je nach Abstimmung künstlerisch darauf zu reagieren. Das Publikum wird so Teil der Vorstellung. Das ist ein Stilmittel, was sich aus der Not heraus nun viel mehr Künstler*innen erschlossen hat.

Was können Sie jungen Künstler*innen mit auf den Weg geben? Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig, um im künstlerischen Beruf, im Übergang von der Ausbildung zum Beruf, Fuß zu fassen?

Geduld und Durchhaltevermögen! Anfangs scheinen immer alle anderen erfolgreicher und besser aufgestellt zu sein als man selbst. Zu lernen, sich in seiner Individualität selbst vertrauen zu können, trotz des ständigen Vergleiches mit anderen, ist ein nicht endender Prozess. Wenn man dranbleibt, und zwar über einen langen, oft sehr zäh erscheinenden Zeitraum, in dem man mitunter mit wenig Geld klarkommen muss, wird das Richtige kommen. Das Richtige heißt nicht unbedingt, dass man mit Biegen und Brechen an den einst gesteckten Zielen festhalten muss, sondern dass sich die Intentionen und Vorstellungen im Laufe der Zeit verändert haben können. Das bedeutet nicht, dass man aufgegeben hat, sondern dass man und/oder die Umstände sich so verändert hat/haben, dass man gegebenenfalls entsprechend nachjustieren muss. Alles unterliegt bekanntlich einem stetigen Wandel und so ist es sinnvoll, immer wieder zu reflektieren, zu hinterfragen, manche Dinge intensiver zu verfolgen oder loszulassen. Das ist kein Verlust, sondern ein Zugewinn, denn meist öffnen sich dadurch neue, ungeahnte Türen. Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Kunst, sondern fürs ganze Leben. Ich musste auch lernen, den Raum für Entwicklung zuzulassen. Vieles, was jetzt noch nicht ist, kann und wird noch werden. Vieles, was wir jetzt noch nicht wissen oder entscheiden können, werden wir eines Tages wissen und entscheiden können. Die Dinge brauchen Zeit. Das hört sich mit meinen 32 Jahren sehr altklug an, aber ich erfahre gerade selbst dessen Wahrheitsgehalt. Es ist okay, wenn man anfangs und immer wieder andere oder zusätzliche Jobs macht, die nichts oder wenig mit Kunst oder Kunstpädagogik zu tun haben. Dafür sollte man sich nie schämen oder es gar verheimlichen. Man muss ja schließlich über die Runden kommen. Jemand, der momentan mit seiner Kunst kein oder nur wenig Geld verdient, ist genauso ein*eine Künstler*in und macht genauso wertvolle Kunst wie jemand, der davon lebt! Der finanzielle Verdienst ist nicht das einzige Kriterium, das einen zum*zur Künstler*in macht! Der persönliche Wert als Mensch ist selbstverständlich nicht von einer beruflichen Tätigkeit und deren Bezahlung abhängig. Es gibt ja im besten Fall auch ein Leben abseits des Berufs. Ein vermeintlicher Misserfolg ist auch ein Meilenstein und es kann nicht immer nur bergauf gehen. Manchmal muss man Umwege gehen, um sich weiterzuentwickeln. Schaut man sich die Biographien von Künstler*innen einmal genauer an, ist da fast keine ausschließlich geradlinig verlaufen.

Wenn Sie auf Ihre Studienzeit zurückblicken, wo hätte es noch etwas mehr sein dürfen?

Das Orff-Institut ist ja schon seit einiger Zeit im Umbruch. Es geht primär um die Frage, wie das Erbe von Carl Orff im hier und jetzt weitergeführt und weiterentwickelt werden kann. Die Notwendigkeit und die Relevanz dieses Studiums liegt ganz klar auf der Hand und ist in der heutigen Zeit aktueller denn je. Die Sehnsucht nach analogem Ausdruck und Interaktion mit anderen Menschen ist ungestillt. Aufeinander zuzugehen, sich nahezukommen, sich gegenseitig zuzuhören, zuzusehen, sich anzusprechen, zu erspüren wer der andere ist, voneinander zu lernen und das meine ich abseits jeglicher Esoterik, sondern wortwörtlich auf zwischenmenschlicher Ebene, um sich selbst und andere wahrnehmen und mit ihnen interagieren und kommunizieren zu können, ist existentiell. Das hört sich jetzt so selbstverständlich an, ist es aber nicht. Es erfordert Praxis und Übung! Um nicht stehen zu bleiben, müssen wir im Grunde ständig neu ver- und aushandeln, wer wir selbst sein wollen und wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen wollen. Für all das ist die Kunst ja prädestiniert! Sie ist demnach nicht nur Repräsentant*in und Übefeld, sondern natürlich auch die Vergegenwärtigung und Plattform gelebten Ausdrucks innerer Befindlichkeiten. Ich glaube, dass das Orff-Institut dank seiner DNA, seiner Anlage geradezu prädestiniert dafür ist, sich gesellschaftsrelevanten Fragen der Kunst und Kunstpädagogik noch intensiver zu stellen, neue Einflüsse und komplexe Zusammenhänge zu erfassen, Dinge zu kombinieren ohne zu verkomplizieren, sondern sie zugänglich zu machen, flexibel zu bleiben, nicht im Alten der Tradition wegen zu verhaften und sich auch entsprechend zu positionieren. Das Orff-Institut, so wie ich es erlebt habe, interessiert sich an erster Stelle für den Menschen an sich. Und zwar für alle Menschen, ohne Ausnahme! Darin, sich tatsächlich am heutigen Menschen in der heutigen Gesellschaft, an Rezipienten sowie an Kunstpädagog*innen, an Künstler*innen, am globalen Zeitgeschehen zu orientieren, liegt eine große Chance und das Orff-Institut hätte unbestritten die Ressourcen und das Potential dazu, sich dem aktiver zu stellen. Ich hätte mir damals vom Institut mehr entsprechende Progressivität, mehr Mut und Taten gewünscht.

Was war besonders schön, wenn Sie an Ihr Studium denken?

Ich habe sehr facettenreiche Werkzeuge mitbekommen. Es gab nahezu unendlich viele Möglichkeiten, sich neuen Input zu verschaffen. Außerdem ist es ein Ort der Inspiration und der Kreativität! Ich wurde sehr darin bestärkt, Vorhaben selbst anzupacken und meine Überzeugungen zu verwirklichen, umzusetzen. Es war nie ein: Lass das lieber, das ist falsch, sondern immer ein Ja! Ja! Und nochmals Ja! Mach das, probiere es aus! Ich habe meist eine große Bestärkung und Wertschätzung meiner selbst als Individuum wahrgenommen. Eine Abweichung von der Norm wird oft geschätzt und gefördert. Den stärksten Eindruck hat tatsächlich Helmi Vent bei mir hinterlassen. Sie war und ist eine sehr wichtige Vorbild- und Leitfigur für mich - beruflich und auch persönlich. Sie hat mir vermittelt, dass sich Kunst mitten im Leben abspielt und nicht nur im Theater, in der Ausstellung, im Konzert. Wie sehr Kunst repräsentativ sowohl für unsere Gesellschaft als auch für mich als Mensch und umgekehrt steht und was Kunst alles sein kann. Ein Leitsatz von Helmi Vent ist mir in besonderer Erinnerung. Sie sagte einmal, ihre Arbeit sei eine Art Experimentierlabor zur kreativen Bewältigung des Lebens.

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