Hakan Ulus - Komponist

01.04.2022
Alumnae & Alumni Stories
Hakan Ulus | © Anna Utkina

Hakan Ulus studierte Komposition bei Ernst Helmuth Flammer, Adriana Hölszky, Claus-Steffen Mahnkopf, Tristan Murail, Aaron Cassidy und Liza Lim an der Universität Mozarteum Salzburg, der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig sowie an der University of Huddersfield in Großbritannien. Zudem absolvierte er einen Master in Zeitgenössischer Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main.

Hakan Ulus:
Komponist

Klagenfurt & Wien

 

Er erhielt zahlreiche Kompositionspreise und Stipendien, u.a. impuls Kompositionspreis Graz, Stipendiat der Akademie der Künste Berlin, Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie, seine Werke werden international von renommierten Interpreten wie dem Klangforum Wien und Ensemble intercontemporain aufgeführt und seine Publikationen erschienen u.a. im Wolke Verlag, Rombach Verlag und bei Musik & Ästhetik. Er hielt zahlreiche Vorträge über seine Musik in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden, Großbritannien und den USA und gab Kompositions-Meisterkurse in Madrid, Detmold, Singapur und Udine. Seit 2019 erscheinen seine Werke bei Edition Gravis. Im Oktober 2021 folgte er der Berufung auf die Professur für Komposition und Musiktheorie an die Gustav Mahler Privatuniversität in Klagenfurt.

 

Eines Ihrer Werke wurde dieses Jahr für das MATA Festival in New York ausgewählt. Ein Festival für Neue Musik, das als das „aufregendste Schaufenster für herausragende junge Komponisten aus aller Welt" bezeichnet wurde. Was bedeutet es für einen Komponisten, daran teil zu nehmen?

Das MATA-Festival ist in den USA sehr bekannt und hat in der internationalen Kompositionsszene einen sehr guten Ruf. Es ist kein Preis im eigentlichen Sinn. Es war ein Call for Scores. Jedes Jahr reichen über 1000 Komponist*innen ihre Werke ein, und eine kleine Auswahl von etwa 10 Werken schaffen es zum Festival. Es ist fast wie bei einer Lotterie (lacht). Aber natürlich freue ich mich darüber und es kommen viele Menschen, um die Werke zu hören. Das ausgewählte Werk Auslöschung II nach Thomas Bernhards gleichnamigen Roman habe ich für zehn Vokalisten geschrieben und es wurde 2019 im Kulturpalast in Dresden uraufgeführt. Eine Aufführung beim MATA-Festival ermöglicht sehr große Aufmerksamkeit.

Welche Rolle spielen Preise und Stipendien für den Werdegang eines Komponisten heute?

Eine sehr große. Es gibt Call for Scores, Preise, Stipendien, Aufenthaltsstipendien und all diese Möglichkeiten bieten Komponist*innen die Chance, sich und ihre Werke zu präsentieren. Hätten wir diese Möglichkeit der Präsentation nicht, würden wir uns in unserer Arbeit viel langsamer entwickeln. Die Probenarbeit ist dabei eine ganz entscheidende. Man lernt dabei unglaublich viel. Ich hatte nach meinem Studium am Mozarteum das große Glück, ein Stipendium von der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Frankfurt zu erhalten. Ich durfte ein Jahr lang mit dem IEMA-Ensemble und dem Ensemble Modern täglich zusammenarbeiten. Dabei habe ich sehr viel über Probenpsychologie und den Umgang mit Instrumenten gelernt. Aber auch, wie man eine Probe effektiv leitet. Die direkte Praxisnähe in diesem Ausmaß ist luxuriös, das hat man im normalen Komponisten-Alltag nicht. Es gab zwei Aufträge, einen für Kammerbesetzung und einen für großes Ensemble. Eines meiner Stücke war Tawāf für verstärkten Flügel, großes Ensemble und Elektronik. Die übliche Probenanzahl von drei war unzureichend. Ich wollte 12 Proben, schlussendlich reichten sieben. Die Anzahl an Proben kann normalerweise nicht verhandelt werden. Es war tatsächlich Luxus und ich konnte aus dieser Zeit sehr viel mitnehmen.
Auch Aufenthaltsstipendien sind eine sehr wichtige Sache, weil man sehr viel sieht. Reisen sind für die Inspirationen, die Eindrücke, für Dinge, die man vielleicht nicht direkt verarbeitet, aber die Bedeutung einzelner Momente und Bekanntschaften drei vier Jahre später erkennt, grundsätzlich wichtig.
Dann gibt es noch die größeren Preisgelder, die den Spielraum erweitern. Damit kann der Fokus völlig auf das Komponieren gelegt werden. Die kleineren Möglichkeiten wie Call for Scores, sind ebenso wichtig, denn das eine führt zum anderen und jede Aufführung ist wichtig. Daher sollte auch jede Probenminute so effektiv wie möglich genutzt werden, sodass die Aufführung genauso wird, wie sie vorgestellt wird.

Wie dürfen wir uns die Arbeit als Komponist*in vorstellen? Wie ist Ihre Herangehensweise? Wie funktioniert ein Kompositionsprozess? Welche Rolle spielt Harmonie und Rhythmik, wie findet man die passenden Akkorde?

Das ist eine große Frage (lacht). Im Mai werde ich meine Antrittsvorlesung mit dem Titel Komponieren und Erforschen an der Gustav Mahler Privatuniversität halten und dabei wird es genau darum gehen. Der Kompositionsprozess kann nicht verallgemeinert werden, ich kann natürlich nur für mich sprechen. Zunächst ist es sehr wichtig, dass ich eine gewisse Regelmäßigkeit beim Komponieren habe. Sich nur auf die Inspiration zu verlassen ist riskant, denn es kann passieren, dass man Glück hat und ein Gedanke zur richtigen Zeit kommt, aber man kann auch aus dem Prozess rauskommen und dann ist es umso schwieriger wieder rein zu kommen. Meine erste Professorin am Mozarteum, Adriana Hölszky, hatte immer gesagt: „Komponieren ist wie mit einem Schiff auf dem offenen Meer zu sein. Wenn der Wind gut steht, muss man die Segel setzen.“ Das bedeutet, dass günstige Situationen künstlerisch genutzt werden müssen. Auch wenn das bedeutet, dass man die Nacht durcharbeiten muss. Ich kann zum Beispiel oft den eigentlichen Moment des Schaffens nicht mehr definieren oder beschreiben. Ich bin dann in einem anderen Bewusstseinszustand. Man schafft in der Kunst eine zweite Realität – wie es Adorno so schön formuliert hat.
Ein*e Künstler*in lebt in dieser anderen Realität. Ingeborg Bachmann sagte zum Beispiel, sie lebe nur, wenn sie schreibe. Ich behaupte, das trifft auf alle wahren Künstler*innen zu. Der konkrete Prozess hat sehr viel mit dem Alleinsein zu tun, aber man braucht dennoch das Feedback und die Zusammenarbeit mit den Musiker*innen. Neue Richtungen müssen ausprobiert werden. Ich rufe beispielsweise mir bekannte Musiker*innen an und bitte sie, etwas zu spielen, zu probieren. Dabei muss man natürlich die richtigen Personen anrufen, denn Neues kann oft erstmal schwierig sein. Es war mir von Anfang an wichtig, nach draußen zu gehen und ich würde es auch allen empfehlen. Das war eines der ersten Dinge, die ich bei Adriana Hölszky gelernt habe. Sie meinte, meine Arbeit sei ganz toll, aber wichtiger sei es, mit den Werken nach draußen zu gehen, damit die Werke von professionellen Ensembles aufgeführt werden. Es reicht nicht aus, ein paar Jahre lang die Werke an der Universität mit Studienkolleg*innen aufzuführen. Das gilt aber für alle Fächer. Dieser Schritt führt automatisch eine Veränderung im kompositorischen Denken herbei. Plötzlich verschieben sich die Grenzen des Machbaren und irgendwann wird erkannt, dass es kaum Grenzen gibt. Komponieren ist das grenzenlose Denken, das Träumen. Irgendwann wird man aber mit der Realität konfrontiert.

Würden Sie das Komponieren eher als Handwerk oder als Reflexion bestimmter Ereignisse, Erlebnisse, Literatur-Stoffe oder Zeitspannen/Epochen beschreiben?

Reflexion ist ein entscheidender Aspekt, auch die Reaktion auf bestimmte Erlebnisse hat Bedeutung. Vielleicht nicht unbedingt bewusst, jedoch reagiert man sicher im Unbewussten auf Dinge, die erlebt wurden. Eine gesellschaftliche Verantwortung spielt auch mit, da gesellschaftliche Ereignisse durch Kunst reflektiert werden und neue Erkenntnisse bringen. Das Handwerk ist für professionelles Arbeiten sicher wichtig. Man muss wissen, wie Dinge umzusetzen sind. Wobei ich der Meinung bin, dass ein Stück, dem eine gute Idee zu Grunde liegt, aber das Handwerk nicht perfekt ist, besser ist, als ein Stück mit schlechter Idee und bestem Handwerk. Das Handwerk kann man immer lernen – es ist ein Mittel zum Zweck. Kreativität kann man vielleicht stimulieren, aber letztendlich hat man sie oder eben nicht. Die Ausführung braucht Handwerk, was sich natürlich auch im Kompositionsunterricht widerspiegelt. Allerdings verliert das Handwerk ab einem gewissen Punkt, einem professionellen Niveau, an Bedeutung: Es ist dann selbstverständlich. Es folgen kritische Selbstreflexion, Diskussionen über Ästhetik, andere Künste, über Ereignisse und so weiter.

Wie schafft man es, die vertrauten Töne renommierter Komponist*innen vergangener Epochen zu verlassen und etwas völlig Neues zu schaffen?

Etwas völlig Neues gibt es wohl nicht. Alles ist Evolution, alle Menschen haben eine Tradition und Sozialisation. Natürlich kann der Versuch unternommen werden, Brüche herbeizuführen, aber das Unbewusste bleibt. Auch so große Persönlichkeiten wie Stockhausen, die durchaus kritisiert wurden, sagten, sie hätten nicht gebrochen, vielmehr hinzugefügt. Auch Schönberg war nicht der große Revolutionär, er bezog sich immer wieder auf Brahms. Es kann aber versucht werden, andere Perspektiven einzunehmen und so etwas Neues zu entwickeln. Das Neue ist oft auf den ersten Blick gar nicht sichtbar. Manchmal überrascht der Kompositionsprozess einen selbst. Das Werk muss im Prozess äußerst flexibel sein. Die Richtungen ändern sich und aus 12 Minuten werden plötzlich 25 Minuten, die das Werk erfordert. Es entsteht das, was entstehen muss. Unabhängig davon, ob es einmal, zehnmal oder einhundertmal aufgeführt wird. Eine gute Aufführung ist wertvoller als zehn schlechte. Die Kunst darf im Prozess und Ergebnis auch scheitern. Das ist ganz wesentlich. Getreu dem Motto von Samuel Beckett „ever tried, ever failed, no matter, try again, fail again, fail better”.

Gibt es für Sie besondere Inspirationsquellen? War es für Sie immer schon klar, dass Sie komponieren wollen?

Ja, das Komponieren war schon sehr früh mein Ziel. Begonnen habe ich mit Klavier, aber das Komponieren stand früh im Vordergrund. Das Schöpferische lag mir schon immer und so ging ich konsequent diesen Weg. In der Stadt, in der ich aufwuchs, gab und gibt es das Ensemblia-Festival für Neue Musik. In den über 30 Jahren des Festivals, waren alle großen Namen dort vertreten: Lachenmann, Hölszky, Spahlinger und viele andere. Und so hatte ich das Glück, bereits sehr früh mit Neuer Musik in Kontakt zu kommen. Es gab für mich keinen Bruch zwischen Komponisten der vergangen en Jahrhunderte und Komponist*innen Neuer Musik. Das hat sich für mich ganz natürlich entwickelt. Inspirationsquellen gibt es viele. Unter anderem Musik aus anderen Teilen der Welt. Spannend finde ich Musik, die sehr stark mit Ornamenten arbeitet. Aus der arabischen Musik wissen wir, dass die musikalische, melodische Linie und nicht die Harmonik im Vordergrund steht. Das ermöglicht einen ganz anderen Reichtum was die Verbindung von Tönen angeht - mit Glissando und Vibrato. Auch die Literatur spielt für mich eine entscheidende Rolle: in den letzten Jahren vor allem Thomas Bernhard. So komponierte ich einen großen 45-minütigen Thomas Bernhard-Zyklus. Darüber hinaus spielen Kaffeehäuser als Inspirationsquelle eine wichtige Rolle (lacht). Als ich 2010 nach Österreich kam, habe ich mich direkt ins Café Bazar verliebt. Die Inspirationen sind natürlich sehr werkspezifisch. Wichtig ist, neugierig zu bleiben, mit offenen Ohren und Augen durch die Welt zu gehen. Daher ist das Reisen auch sehr wichtig. Obwohl ich nie in Japan war, interessiert mich z.B. das Karōshi-Phänomen. Es bezeichnet das kulturell bedingte Überarbeiten, das zum Tod führt. Mein Stück Karōshi für Sopran mit Klangobjekten ist Teil des Bernhard-Zyklus. Bei Bernhard wissen wir, dass sich die Protagonisten immer in einer extremen inneren und äußeren Anspannung befinden, bedingt durch bestimmte Ereignisse, durch depressive Verstimmungen usw. Ich beobachte zudem sehr gerne Rituale aus verschiedenen kulturellen Kontexten und komponiere daraus wiederum Rituale.

Sie haben schon sehr viel zu Ihren Werken gesagt, aber gibt es noch etwas, dass Sie besonders betonen oder transportieren möchten mit Ihren Kompositionen?

Es geht sehr oft um fragile Zustände, um Reibungen, es geht um ein Angespanntsein. Die Bühnenpräsenz muss bei meinen Werken extrem sein. Die Art der Interpretation meiner Musik ist sehr wichtig. Das betone ich in der Kommunikation mit den Musiker*innen auch immer wieder. Die Musiker*innen werden in meinen Werken extrem gefordert. Das ist eine existentielle Erfahrung, die für mich große Bedeutung hat. Sowohl im Kompositionsprozess selbst, als auch bei der Aufführung der Werke. Als mein Studium abgeschlossen war, habe ich mehrere Jahre freischaffend gelebt, mit vielen Aufenthaltsstipendien. Ich hatte keine Terminverpflichtungen und war ganz frei. In dieser Situation habe ich verschiedene Zeitpläne zum Komponieren ausprobiert. Mal habe ich in der Nacht komponiert, dann am späten Nachmittag begonnen, oder Abends – ganz unterschiedlich. Auch das war eine existentielle Erfahrung und teilweise anstrengend für den Körper. Das Interessante, das ich daraus mitgenommen habe, ist, dass jedes Werk einen eigenen Zeitplan hat. Jedes Werk fordert mich auf eine andere Weise und ich muss mich daran anpassen.

Welche Rolle spielen Verlage in der Laufbahn von Komponist*innen? Wie kommt man zu einem Verlag?

Ich wurde vor einiger Zeit von Edition Gravis angesprochen. Das ist ein kleiner Verlag in Berlin, der sich sehr für junge Künstler*innen engagiert. Für mich ist dieser Verlag ein Glücksfall, da er meine handgeschriebenen Manuskripte druckt. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Beim Ricordi-Verlag gibt es beispielsweise einen Wettbewerb, bei dem nur computergeschriebene Partituren eingereicht werden können. Der/die Gewinner*in erhält dann einen mehrjährigen Verlagsvertrag. Schreibt ein/e Komponist*in per Hand, so ist er/sie bereits ausgeschlossen. Ich mache wenig Kompromisse, wenn es um die Kunst geht. Für mich ist der Prozess des Schreibens auf Papier ein Teil des Werkes. Das haptische Erleben ist sehr wichtig und persönlich. Diese Rückmeldung erhalte ich auch von den Musiker*innen, die meine Partituren so besser interpretieren können.

Warum gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung viel weniger Komponistinnen als Komponisten?

Zum Glück ist das etwas, das sich gerade ändert. Ich setzte mich in meiner Funktion als Professor für Komposition an der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik aktiv dafür ein, dass es strukturelle Änderungen gibt. Der Hintergrund erklärt sich aus der Musikgeschichte. Es wurde einfach nicht zugelassen, dass Frauen komponieren. Wir kennen die Briefe von Robert an Clara Schumann aus denen hervorgeht, dass Robert das Komponieren von Clara verhindert hat; ebenso die Geschichte von Alma und Gustav Mahler. Auch wenn Frauen komponiert haben, so wurden die Werke nicht in den Kanon aufgenommen. Musikgeschichte ist ja immer Musikgeschichtsschreibung von einzelnen Personen oder einer Gruppe von Personen. Das ändert sich aber zunehmend. Es gibt mittlerweile auch internationale Preise, die sich ausschließlich an Komponistinnen richten. Idealerweise überwinden wir das alles irgendwann und es geht dann nur mehr um die Qualität der Werke und nicht mehr darum, wer oder welches Geschlecht hinter der komponierenden Person steht. Denn darauf kommt es an, dass Musik qualitätsvoll und gehaltvoll ist, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche Konfession ein Mensch hat, ist vollkommen irrelevant!

Sie geben nun Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen als Professor an junge Nachwuchskünstler*innen weiter. Was ist das Schöne an dieser Arbeit und was wollen Sie vermitteln?

Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, sich in die Persönlichkeit des anderen hinein zu versetzten, was auch an natürliche Grenzen stößt. Es geht immer darum, die Studierenden so zu fördern, dass die Kreativität das höchste Level erreicht. Ob jemand Talent hat, merkt man sehr schnell. Talent ist das wertvollste Geschenk, das es zu fördern gilt. Ich sehe mich auch als Wegbegleiter von jungen Komponist*innen, die auf der Suche nach ihrer eigenen Stimme sind. Komponieren bedeutet immer auf der Suche sein, egal wie alt man ist. Man muss versuchen zu verstehen, was für eine junge Person in einem speziellen Moment wichtig ist. Das können sehr konkrete Dinge sein, etwas Handwerkliches oder die Motivation zu fördern. Es kann auch der Umgang mit Absagen sein. Es ist wichtig, sich nicht von seinem Weg abbringen zu lassen und immer weiter zu machen. Das möchte ich vermitteln und das auf Augenhöhe. Vielleicht ist der Begriff Kompositions-Studierende auch nicht ideal, besser wäre einfach junge Komponist*innen. Wertschätzung der Arbeit und Mühen der jungen Komponist*innen ist sehr wichtig. Darüberhinaus ist auch der psychologische Aspekt bedeutend. Mit falscher Wortwahl kann im Kompositionsunterricht vieles zerstört werden. Künstler*innen sind zumeist sehr sensible und empfindliche Menschen. Die Sensibilität der Sprache ist also wesentlich. Das Unterrichten ist auf mehreren Ebenen sehr bereichernd für mich. Durch den Umgang mit Menschen unterschiedlichster Altersgruppen zeigt sich unter anderem, wie unterschiedlich Perspektiven sein können. Ich reflektiere beim Unterrichten meine eigene Wahrnehmung und erinnere mich an eigene Lernprozesse. Es macht mich schlichtweg sehr glücklich, wenn ich sehe, dass Dinge, die ich versuche zu vermitteln, zu Erfolg führen. Ich kann den jungen Komponist*innen jedoch nicht ihren Weg zeigen, den müssen sie selber finden. Ich kann nur Impulse geben, versuchen verstecktes Potenzial aufzudecken, den jungen Komponist*innen helfen, den Weg in ihr Inneres freizulegen. Denn: Hat jemand etwas zu sagen, so wird er auch den Weg und die Mittel finden, es zu sagen.

Welche Fähigkeiten muss ein*e gute*r Komponist*in aus Ihrer Sicht haben?

Möglichkeiten suchen und aktiv wahrnehmen, immer weitermachen und sich nicht beirren lassen, praktische Erfahrungen sammeln. Es gibt viele Bücher über Instrumente, aber wenn man für Klarinette schreibt, setzt man sich am besten mit einem*einer Klarinettisten*in zusammen und probt, lässt sich Dinge erklären, probiert aus. Probenerfahrungen sind sehr wichtig und können an der Universität nur begrenzt vermittelt werden. Selbstvertrauen muss aufgebaut und Zweifel reflektiert werden. Die Kenntnis über aktuelle Entwicklungen der Szene ist wichtig, um das eigene Komponieren in der Gesellschaft kontextualisieren zu können. Es geht darum, auf dem Laufenden zu bleiben. Festivalbesuche und Konzerte sind essentiell, oder zumindest das Nachhören im Internet, wenn man nicht hinfahren kann. Es ist wichtig zu wissen, welche Stücke gerade uraufgeführt wurden, um so nah wie möglich an der Praxis zu sein.

Worauf freuen Sie sich besonders an der Gustav Mahler Privatuniversität in Klagenfurt?

Aufgrund der noch jungen Akkreditierung der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik bin ich in der einmaligen Situation, vor allem mit meinem Kollegen Jakob Gruchmann die Kompositionsabteilung von Grund auf aufzubauen. Es gibt keine festgefahrenen Strukturen wie an vielen anderen Universitäten. Das ist eine sehr wertvolle Aufgabe mit viel Verantwortung. Wir analysieren wichtige Aspekte des Kompositionsstudiums, prüfen welche Fächer benötigt werden und wie die Schwerpunkte gelegt werden sollten. Von diesem Programm wird man sicher noch viel hören. Wir bauen zudem ein Doktoratsprogramm für Komposition auf, das planmäßig in zwei bis drei Jahren beginnen soll. Das ist natürlich eine sehr schöne Aufgabe!

Welche Arbeitsbedingungen würden Sie sich für Komponist*innen wünschen? Was sollte sich ändern?

Da gibt es Vieles! Grundsätzlich müsste in der Schulausbildung die Musik, einschließlich der Zeitgenössischen Kunstmusik, viel stärker im Vordergrund stehen. Das Empfinden und die Sensibilität für die Musik muss entwickelt werden. Leider arbeiten immer noch viele Komponist*innen unter prekären Bedingungen. Es gibt Richtlinien für Kompositionshonorare, die leider kaum eingehalten werden. Natürlich gibt es den Komponistenbund und die AKM, die diese Interessen vertreten. Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass es in den Künsten noch nie soziale Gerechtigkeit gab. Wir müssen uns den Platz in der Gesellschaft immer noch erkämpfen und argumentieren, warum unsere Arbeit wertvoll ist. Das wird wohl auch noch einige Zeit so bleiben. Daher ist wünschenswert, dass mehr Aufträge vergeben werden, viel mehr Konzerte stattfinden, bessere Probenbedingungen geschaffen werden und mehrere Aufführungen neben einer Uraufführung in verschiedenen Städten organisiert werden. Wenn Gelder umgeschichtet werden könnten, würde ich sagen: Bitte alles in die Kunst!

www.hakanulus.de

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