Fedor Rudin - Geiger

03.07.2020
Alumnae & Alumni Stories
Fedor Rudin | © Neda Navaee

"Es geht um Atmosphäre und Emotionen!"

— Fedor Rudin: Geiger, Frankreich & Russland

Wie haben Sie die Corona-Zeit als Konzertmeister des Wiener Staatsopernorchesters und der Wiener Philharmoniker einerseits und als Solist und Kammermusiker andererseits erlebt?

Ich habe für mich diese Zeit sehr produktiv genutzt, viel gelernt und gearbeitet. Das Dirigierstudium an der MDW in Wien ging ja weiter, wenn auch online. Das Studium ist sehr intensiv und es bleibt ohnehin immer zu wenig Zeit. Der Rhythmus unserer Zeit ist bedenklich. Musikalisch betrachtet war diese übertriebene Anzahl an Onlinevideos ganz schlecht. Es gab auch Fälle mit offenen Appellen und Beschwerden von einigen Musikern, die große Umsätze im Jahr machen, was respektlos gegenüber denjenigen ist, denen es wirklich schlecht geht. Das war schon eine negative Auswirkung, abgesehen vom finanziellen Aspekt, der alle betroffen hat, die selbstständig sind. Wir sind natürlich in einem privilegierten Land und das was gerade in Amerika mit Orchestern und Konzert-Häusern passiert, wird hier vermutlich nicht passieren. Bevor die Wiener Staatsoper schließt, schließen viele andere. Obwohl vieles verschoben und abgesagt wurde. Wir werden sehen wie es in Salzburg weitergeht und wie das mit den verkauften Karten wird.

Sie sind auch kammermusikalisch tätig. Gab es viele Absagen?

Gottseidank wurde das Meiste verschoben und nicht abgesagt. Die Absagen beruhen eher auf Terminprobleme, die durch die Verschiebungen jetzt zustande kommen.

Gibt es für Sie spezielle Rahmenbedingungen, die Sie jetzt benötigen? Gibt es einen Appell, den Sie uns mitgeben möchten?

Wie anfangs erwähnt muss man mit den kostenlosen Videos und Streamings wirklich aufpassen. Das Publikum reagiert nicht unbedingt richtig darauf. Viele finden es toll, bleiben aber nur bei diesem ersten Eindruck hängen und vergessen, was die jetzige, bittere Realität der Kunstszene ist. Die Musiker sind jetzt eh zuhause und machen Hauskonzerte oder Livestreams, warum soll man denn überhaupt dafür spenden oder später riskieren, wieder in den Konzertsaal zu gehen? Es ist natürlich beeindruckend, was mit der Technik und Online alles möglich ist. Als Notlösung funktioniert es, ich möchte jedoch darauf hoffen, dass sich das Publikum nicht auf Dauer darauf einstellt. Es geht um Atmosphäre und Emotionen in einem Konzert, und das kann man auch mit den besten technischen Möglichkeiten nicht wiedergeben.

Der künstlerische Nachwuchs hat es nun besonders schwer im Berufsleben Fuß zu fassen. Haben Sie Tipps für die jungen Künstler, wie man vorgehen soll damit eine geplante Künstlerkarriere auch Realität wird?

Es muss für jeden klar sein, was er oder sie anstrebt und das in einem realistischen Rahmen. Es ist wahrscheinlich wichtig, dass dies so früh wie möglich geschieht. Es gibt sehr viele, sehr gute junge Leute. Manchmal werden sehr gute ältere Musiker von jüngeren überholt, die einfach in der Planung klarer sind. Für mich hat die Arbeit als Konzertmeister gut gepasst. Ich spiele gerne im Orchester, Kammermusik und auch Solo. Ich arbeite gerne mit anderen Musikern zusammen. Eine gewisse Verantwortung ist aber schön, ich fühle mich wohl damit. Aber diese Probespiele sind natürlich wie Lottospielen. Einmal klappt es, aber das kann man zuvor nie wissen. Man braucht auch Glück. Die Konkurrenz ist enorm heutzutage. Besonders jetzt in der Corona-Zeit sieht man, wie schwer es sein kann, wenn man keine feste Anstellung hat. Mir war immer klar, dass nur selbstständig sein, nichts für mich ist. Ich möchte auch Zeit und Sicherheit für meine Familie. Die Unabhängigkeit, die man sich als großer Solist vorstellt ist nicht immer gegeben. Ich habe schon solo trainiert, wusste aber immer, dass ich Sicherheit möchte. Darauf muss jeder selbst kommen. Die Universität lehrt uns die Basis. Sie bringt uns aber nicht bei, wie das wirkliche Leben ist. Man muss sich selbst überlegen, wie man sein Leben aufbaut und was realistisch ist und was nicht. Es gibt auch unausgesprochene Deadlines sowohl für die Wettbewerbe als auch für die Probespiele. Bei mir war es auch lange Zeit nicht ganz klar wohin es geht. Ich bin von Salzburg nach Wien gegangen um dirigieren zu studieren, aber nicht um Dirigent zu werden, sondern als künstlerische Ergänzung für mich. Die Fächer sind ganz anders, es gibt vieles was man im Instrumentalstudium nicht lernt. Meine jetzige Stelle ergibt sich aus beidem: aus dem früheren Instrumental-Solostudium und aus dem Prozess des Dirigierstudiums. Man muss sich früh genug überlegen, was realistisch ist und sich Ziele setzten und diesen auch folgen.

Gibt es noch etwas, das Sie uns mit auf den Weg geben möchten?

Es wäre schön, wenn die Politik auch an die Kunst denken würde. Es ist eigentlich unglaublich: Wir spielen im leeren Musikverein mit 100 Personen, die im großen Abstand zueinander sitzen. Aber es fliegen Flugzeuge, in denen die Leute auf den Plätzen von A bis F neben einander sitzen. Ich glaube alle sind glücklich, dass sich die Dinge bewegen, aber es ist schade, dass auf die Kultur immer noch viel zu wenig geachtet wird und nicht immer klare Richtlinien gemacht werden. Allerdings sind wir im Vergleich zu anderen Ländern, wie Amerika oder Großbritannien immer noch sehr privilegiert.

Wären mehr Open-Air-Konzerte eine Möglichkeit?

Auf jeden Fall, wenn es aus der Sicht der Gesundheit sicherer ist! Das Sommernachtskonzert im September ist geplant. Wir werden sehen. Das Orchester wird auch am Beginn jedes Projektes regelmäßig auf Covid-19 getestet. Das gibt natürlich eine gewisse Sicherheit, weil wir den Mindestabstand nicht einhalten können. Es ist sehr gut, dass das möglich ist. Hoffen wir, dass das alles nicht zu lange dauern wird.

Dann freuen wir uns, Sie und die Wiener Philharmoniker in den beiden Opern "Cosi fan tutte" und "Elektra" sowie den Konzerten mit Andris Nelsons bei den Salzburger Festspielen 2020 erleben zu dürfen!

Ich freue mich, denn ich bin immer gerne in Salzburg und habe sehr schöne Erinnerungen an meine Studienzeit.

fedorrudin.com

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