Die Querflötistin und Instrumentalmusikpädagogin Sofiia Musina kam im April 2022 nach Salzburg an die Universität Mozarteum. Von 2017 bis 2022 studierte sie an der „Borys Grinchenko Kyiv University“ in der Ukraine und erlangte den Masterabschluss „Master of Musical Art. Educational and Professional Program: Musical Art“. Ihre Masterarbeit verfasste sie über den ukrainischen Komponisten Myroslav Skoryk.
Edith Haller - Sopran
"Es ist wie bei einem Eisberg"
— Edith Haller: Sopran, Salzburg
Wie haben Sie als Künstlerin die Corona-Zeit erlebt?
Es ist für alle Künstler ein riesiger Einbruch und eine katastrophale Situation. Es wird zwar viel im Internet angeboten, sprich virtuelle Ausstellungen von Museen, oder Streamingdienste von Opernhäusern, wie zum Beispiel von der Wiener Staatsoper. Für die Künstler, die es gewohnt sind auf der Bühne zu stehen, ist die Situation aber katastrophal. Es ist für alle schwierig, wenn man nicht singen darf, weil man sozusagen ein Berufsverbot hat, zur Sicherheit der eigenen Gesundheit, aber selbstverständlich auch für jene des Publikums. Aber am schlimmsten betroffen sind die freischaffenden Künstler. Ich habe einige Freundinnen im Festengagement, die in Deutschland das Glück haben, an den Theatern ein abgesichertes System vorzufinden. Die Häuser werden vom Staat subventioniert und bekommen ihr Budget auch wenn sie nicht spielen. Damit bekommen die Künstler ihr Gehalt, auch wenn sie nicht auftreten dürfen. Nur wenige Solisten sind von Kurzarbeit betroffen. Vor allem aber Chöre und Orchester, Mitarbeiter hinter der Bühne und die ganzen Werkstätten. Diese arbeiten ja nicht nur wenige Stunden vor und während der Vorstellung, sondern produzieren Perücken, Masken, Kostüme, Bühnenbilder und so weiter. Die hängen alle an uns dran. In dem Moment wo keine Vorstellungen stattfinden, sind diese Mitarbeiter genauso betroffen. Auch die Verwaltung, das Betriebsbüro, der Saaldienst. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Es ist wie bei einem Eisberg, wo die Spitze des Eisberges der Künstler ist, der auf der Bühne steht und alle anderen sind im wahrsten Sinne des Wortes nicht sichtbar. Viele Kollegen sind finanziell nicht abgesichert. Es dauert lange, bis man als Solist im Beruf so weit ist, dass man davon leben kann. Das Angebot an gut ausgebildeten Sängern ist groß und die Nachfrage nach freien Stellen sehr gering. Die positive Seite der Corona-Zeit ist, dass man sich fokussieren kann. Ich nutze die Zeit um mich vorzubereiten. Ich bin natürlich bereits seit zwanzig Jahren in diesem Beruf. Zu Beginn meiner Karriere war ich drei Jahre im Festengagement in St. Gallen in der Schweiz und danach vier Jahre am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Dort hat meine Karriere im Wagner-Fach begonnen und seitdem bin ich international unterwegs, singe an den großen Häusern die ganzen Wagner-Heroinen. Ich habe mich auch nur deshalb entschieden, freischaffend zu arbeiten, weil ich zusätzlich zu meinen Hauptpartien im ersten Fach in Karlsruhe so viele Angebote hatte, dass ich es mit einem festen Engagement nicht mehr vereinbaren konnte.
Ist es als Sängerin am Beginn einer Karriere vorteilhafter, an ein fixes Haus zu gehen und erst später als freischaffender Künstlerin zu arbeiten, um mehr Gestaltungsfreiraum zu haben?
Ich denke, ja. Es kommt aber immer auf den einzelnen Typ an. In einem fixen Ensemble zu sein bedeutet wirkliche Knochenarbeit. Man muss mehrere Rollen gleichzeitig bedienen. Unter Umständen in verschiedenen Stilen und Sprachen. Ich habe in meinem Erstengagement in einem Jahr 72 Abende gespielt. Davon fünf verschiedene Opernproduktionen, eine Operette und ein Kinderstück, also von kleinen Partien, sogenannten „Wurzen“, über mittlere bis zu Titelpartien. Das bedeutet, dass man über Wochen keinen freien Tag hat und man teilweise sehr früh aufstehen muss, weil z.B. eine Anreise im Theaterbus über Land zu bewältigen ist, um am Vormittag an einer Schule ein Kindertheater aufzuführen und man selbst für Maske und Kostüm zuständig ist, sowie das Bühnenbild schleppen muss. Am gleichen Abend spielt man dann noch große Oper im Theater. Das sind die Anfänge, da wird man nicht geschont. Es ist auch gang und gäbe, dass nach einer Opernpremiere am Samstag, am folgenden Montag die Proben für das nächste Stück beginnen, dass man am Vormittag ein Stück probt, aber am Abend die Vorstellung von einem anderen singt. Für mich war das eine sehr wichtige Zeit, weil ich sehr viel gelernt habe. Die Universität kann nur teilweise auf das Berufsleben vorbereiten. Es ist wie immer: Egal welches Studium man abschließt, wenn man ins Berufsleben geht, schaut die Welt für den Moment ganz anders aus. Erst wenn man mit den Instrumentarien zurechtkommt, kann man das, was man zuvor gelernt hat, leichter verstehen und umsetzen. Die Universität ist in gewisser Weise schon ein Mikrokosmos.
Sie sind direkt von der Universität nach St. Gallen gekommen. Wie funktioniert dieser Schritt? Mussten Sie viele Vorsingen machen?
Grundsätzlich braucht man das Talent, den Fleiß, die Qualität, aber auch viel Glück. Im Lebenslauf sieht das so gradlinig und einfach aus, was so aber nicht stimmt. Ich habe schon während des Studiums einige Produktionen als freischaffende Sängerin gemacht. Ich hatte im Studium das Glück, der Staatsoper Prag vorsingen zu dürfen. Ich habe das nur gemacht, um ein wenig Vorsingpraxis zu bekommen und wurde dann für eine Produktion eingeladen. Mein Operndiplom war im Juni und ab August war ich für Proben Freischütz in Prag. Ich hatte damals keine Agentur und musste alles selbst verhandeln. Man muss auch den Druck aushalten können. Als Agathe habe ich sehr gefallen, worauf man mir ein Engagement für ein Jahr angeboten hat. Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt und wollte wissen, welche Rollen ich zu singen hätte. Es waren die Agathe im „Freischütz“, Erste Dame und Pamina alternierend in der „Zauberflöte“, die Rosalinde in der „Fledermaus“, die Donna Elvira in „Don Giovanni“, Elisabetta in „Don Carlos“ und Tosca sowie die Prinzessin in Zemlinskys „Es war einmal …“ Dazu muss man wissen, dass die Prinzessin bei Zemlisnky ein dramatischer Sopran im deutschen und Elisabetta und Tosca entsprechend im italienischen Fach sind. Ich wusste damals schon, dass diese Partien für mich auf jeden Fall zu früh sind. Ich habe dem Intendanten gesagt, dass ich die acht Partien in einem Jahr nicht singen kann und vorgeschlagen, vier Partien zu übernehmen, ohne das dramatische Fach. Daraufhin meinte der Intendant, ich hätte die Stimme und könne die Sprachen. Entweder alle acht oder das Angebot hätte sich erledigt. Schweren Herzens habe ich abgelehnt. Das Risiko für meine Stimme war mir zu groß. Wohl auch mit einer gewissen jugendlichen Naivität und dem Denken „na dann halt nicht, ist mir auch egal“. So bin ich dann erst mal auf der Straße gestanden. Ich hatte keine Agentur und kein Theater. Ich habe dann am Mozarteum postgraduiert, ein Jahr mein Liedrepertoire bei Wolfgang Holzmair erweitert. Wofür ich sehr dankbar war. Dann hatte ich das Glück, dass meine jüngere Schwester Ulrike Haller in Wien ihr Diplom in Klavier mit einem Liedprogramm gemacht hat, das wir mit unseren Lehrern Johannes Kutrowatz und Wolfgang Holzmair gemeinsam erarbeitet haben. Zusätzlich habe ich bei Agenturen und Theatern vorgesungen und schließlich eine italienische Agentur gefunden, die mir ein erstes Engagement als Euridice in Gluck`s Orfeo und später als Alice Ford in Falstaff bei Produktionen in Italien verschafft hat. Durch die Gagen konnte ich mich über Wasser halten und natürlich weitere Vorsingen finanzieren. Ich musste dann immer wieder hören, ich sei sehr wohl ein jugendlich dramatischer Sopran mit schöner Stimme, aber noch zu jung für das Fach. Bis mir bei einer solchen Gelegenheit der Geduldsfaden gerissen ist und ich einen Agenten fragte, ob ich bis zum Alter von 35 Jahren warten solle um dann zu sagen, hurra da bin ich nun, und ob er mich dann nicht fragen würde, was ich bisher gesungen hätte. Es ist schon ein sehr harter Weg, man darf sich aber nicht verunsichern oder entmutigen lassen, sondern man muss sich immer wieder aufraffen und an den Erfolg glauben. Es braucht sehr viel Leidenschaft für diese Berufung. Es ist nämlich nicht einfach nur ein Beruf. In dem Jahr zwischen Prag und St. Gallen habe ich so oft gezweifelt und dachte, dass die Entscheidung, die acht Partien in Prag nicht zu singen, falsch war. Heute kann ich darüber natürlich lächeln. Aber wenn man nicht so viel Glück hat und nicht weiß, wie man die Miete bezahlen soll, ist das schon ein Problem. Bei Sängern gibt es keine Gewerkschaft wie bei Orchestern und professionellen Chören, man bekommt keine Reisespesen bei Vorsingen ersetzt. Wobei es natürlich auch vom Orchester oder dem Opernhaus abhängig ist, bei dem man sich bewirbt. Sänger müssen die Ausgaben für Ihre Bewerbungen normalerweise aus eigener Tasche bezahlen.
Wie war der Schritt von Mozart zu Wagner?
Das ist nur in der heutigen Zeit außergewöhnlich. Wir haben heute die Tendenz dazu, die Dinge in Schubladen einzuordnen. Früher mussten Sänger alles können. Elisabeth Schwarzkopf hat Wagner, Strauss und Mozart gesungen. Ebenso wie Brigitte Fassbaender, Christa Ludwig, Birgit Nilsson, Joan Sutherland, Montserrat Caballé,... ich könnte ewig fortfahren. Erst heute, wo wir so einen Reichtum an Sängern haben und weltweit gute Ausbildungen, kann man sich fast den Typ zur Stimme/Rolle aussuchen. Einmal eine Blondine, dann wieder eine Brünette… Es gibt heute ein Übermaß an Möglichkeiten der Rollenbesetzung, das so vor 40 Jahren nicht bestand. Es ist für eine Stimme auch gesund, nicht nur Wagner, italienisches Fach oder Mozart zu singen. Natürlich gibt es immer Überschneidungen in den Fächern. Manche Stimmen sind flexibler und gefallen sowohl im lyrischen als auch im dramatischen Fach, andere haben sich spezialisiert, z.B. für alte Musik oder zeitgenössische Komposition. Ich war im Sommer 2005 bei den Salzburger Festspielen als Erste Dame in der „Zauberflöte“ unter der Leitung von Riccardo Muti engagiert. Ich habe aber zeitgleich in Karlsruhe noch Vorstellungen des „Fliegenden Holländers“ als Senta gesungen und auf beiden Seiten waren die Leute erstaunt, wie das denn möglich sei, dass ich in Karlsruhe eine fantastische Senta singe und bei den Festspielen in Salzburg Mozart. Dabei kann man das ganz einfach darlegen: Für Mozart muss die Stimme schön sein, für Wagner laut (lacht). Die ideale Voraussetzung für Mozart ist natürlich eine klare, schöne Stimme. Jeder in Europa hat schon irgendwie mit Mozart zu tun gehabt. Durch unseren kulturellen Einfluss ist es sozusagen Hörgewohnheit, wir haben das Gefühl, wir kennen die Musik bereits. Wenn man also eine schöne Stimme hat, fällt das auf, denn Mozart muss sauber gesungen werden, da wir die Musik (er)kennen. Für Wagner muss man vor allem eine laute Stimme haben. Das Orchester besteht aus 100 und mehr Instrumenten im Graben und hinter bzw. auf der Bühne. Es ist also nicht so einfach, nur mit der Stimme ohne künstliche Verstärkung über einen solchen Klangkörper zu kommen. Deshalb ist natürlich eine tragfähige Stimme und eine gute Technik Voraussetzung, um so einen langen Abend zu überstehen. Wenn die Stimme dann allerdings noch klangschön und mühelos klingt, ist der Genuss für das Publikum perfekt.
Die Konkurrenz ist wohl heute an deutschen Häusern besonders groß, weil es noch relativ große Ensembles gibt im Gegensatz zu anderen Ländern.
Ja. Es gibt nur im deutschen Raum die Repertoirehäuser. Ich kenne das von Frankreich und Italien nicht. Meine um neun Jahre jüngere Schwester Veronika Haller hatte im Vergleich zu mir nur mehr ein Zehntel an Vorsingmöglichkeiten. Da hat sich viel verändert und es ist wahnsinnig schwer geworden, eine feste Stelle zu bekommen.
Sie arbeiten heute mit einer Agentur zusammen, oder?
Ja, genau. Ich habe eine Agentur in Berlin, die auch alles Bürokratische für mich erledigt. Ohne Agentur ist es heute fast unmöglich. Früher ging es vielleicht noch durch gute Vernetzung aber grundsätzlich wenden sich Opernhäuser heute schon an Agenturen. Man muss als Sängerin mit internationalen Engagements ohnehin viele Zusatzarbeiten persönlich erledigen, abseits der Bühne. Man muss Visa beantragen, bei Botschaften persönlich vorsprechen, viele Fragen beantworten, Unterkünfte organisieren, lange Reisen in Kauf nehmen und das Leben an fremden Orten organisieren. Der kleine Moment, in dem man dann wirklich auf der Bühne steht, ist oft der entspannteste eines ganzen Tages. Aber trotz allem ist der Beruf unglaublich schön.
Wie war der Weg an die Metropolitan Opera in New York für Sie? Wurden Sie über Ihren Agenten angefragt?
Ja, genau. Zuvor habe ich fünf Jahre durchgehend in Bayreuth gesungen. Vier Rollen in drei Ring-Opern: Freia – Rheingold, Sieglinde – Walküre, 3. Norn und Gutrune – Götterdämmerung. Maestro Thielemann sagte einmal zu mir, sooft er auch auf die Bühne blicke, sehe er immer mich (lacht). Später habe ich dann noch die Elsa im Lohengrin unter Andris Nelsons gesungen. Ich bin natürlich dankbar für die Möglichkeiten, die ich in Karlsruhe bekommen habe, da ich dort so richtig in das Wagnerfach hineingewachsen bin. Von da an ging es mit den internationalen Engagements los. Ich habe Hauptrollen in München, Berlin, Dresden, London, Paris, Amsterdam, Oslo, Zürich, Wien, Tokyo, Neuseeland und schließlich in New York gesungen. Bei Wagner trifft man auch meist dieselben Künstler, da gibt es nicht so viele. Ich hatte beispielsweise einen Sommer, in dem ich in Bayreuth und kurz darauf in München an der Staatsoper die Elsa im „Lohengrin“ gesungen habe und es war genau dieselbe Besetzung wie in Bayreuth. Irritierend war allerdings, dass es eine andere Inszenierung war.
Waren Sie zu Beginn der Corona-Zeit auch auswärts?
Nein, bei mir war das umgekehrt. Ich hätte im Februar für eine „Walküre“-Produktion nach Shanghai fliegen sollen, um die Brünnhilde zu singen. Eine konzertante Aufführung im Großen Konzertsaal im Oriental Art Center mit Fernsehproduktion. Im Januar habe ich die Situation in Asien schon verfolgt und habe mir überlegt, wie ich damit umgehen soll. Ich hatte ja unterschriebene Verträge. Ich war noch nie in der Zwangslage, eine Produktion absagen zu müssen. Ich hatte weniger Angst selbst krank zu werden, als nicht mehr zurück nachhause fliegen zu können. Die AUA hatte schon Flüge eingestellt, das Festival war aber noch nicht abgesagt. Ich wusste nicht was ich machen sollte. Es gibt vor allem strenge Vertrags-Richtlinien. Die Pönalen können sehr hoch sein. Kurz vor der geplanten Reise wurde die Veranstaltung in Shanghai dann auf die nächste Spielzeit verschoben. Ich weiß allerdings noch nichts Genaues, da es jetzt einen Wiederausbruch in China gibt. Die Situation an den Theatern ist weltweit noch sehr unsicher. Ich fürchte, das wird sich auch nicht ändern, solange wir kein Medikament bzw. keinen Impfstoff haben. Man darf ja auch nicht vergessen, dass unser Opernpublikum mit einem gewissen Altersdurchschnitt zur absoluten Risikogruppe gehört.
Gibt es bestimmte Rahmenbedingungen, die Sie sich wünschen, um wieder „normal“ arbeiten zu können?
Momentan sehe ich keine Möglichkeit, normal arbeiten zu können. Wie auch in anderen Bereichen, kann man diese Verluste nicht mehr aufholen. Es gibt wenige Berufsgruppen, die von der Krise profitieren, einen Aufschwung erleben. Bei den Künstlern sehe ich da keine Möglichkeiten. Viele Bereiche in der Wirtschaft werden sich nicht so einfach erholen und können sich auch mit dem Härtefallfonds oder anderen staatlichen Unterstützungen nicht über Wasser halten. So wird auch es vielen kleinen Theatern, Agenturen und natürlich freischaffenden Sängern ergehen. Institutionen wie die Wiener Staatsoper oder die Salzburger Festspiele haben weniger Probleme wieder zu eröffnen. Auch wenn der Saal, der eigentlich 2500 Plätze umfasst, nur mit 500 Besuchern aufgrund der Abstandsregeln zu belegen ist. Das können sich nur große, „reiche“ Häuser leisten, die auch genügend Subventionen erhalten. Aber ein normales Theater, das eine gewisse Auslastung nachweisen muss, kann nicht von den Eintritten leben. Initiativen für Sponsoren und Freunde des Theaters fallen ja auch weg. Man kann auch im Theater keine Oper in Wiederholung von morgens bis abends spielen, um auf dieselbe Publikumsauslastung zu kommen. Bis zu einem gewissen Grad muss sich auch die Kultur rechnen, das ist leider so. Ich möchte Sie auf eine Initiative aufmerksam machen. Es gibt ein ganz tolles Filmprojekt von Michael Volle und seiner Frau Gabriela Scherer, die übrigens auch am Mozarteum studiert hat. Die beiden haben über Facebook Interviews von namhaften Opernsängerinnen und -sängern gesammelt. Man findet das Ergebnis auf YouTube unter „#bringbacktheculture“. Sänger erzählen, wie es ihnen in der Corona-Zeit ergangen ist. Es gibt riesige Unterschiede wie Österreich, Deutschland oder Italien mit dieser Krise alleine im Kulturbereich umgehen. Es kommt zum Beispiel gut raus, dass Künstler das Gefühl haben, Bittsteller zu sein, vergessen zu werden. Die Kultur ist zu wenig präsent, und das in einem Land wie Österreich, in dem laut Studien die Kultur über die Umwegrentabilität mehr Geld generiert als beispielsweise die Landwirtschaft. Hier stimmt etwas nicht. Die Kultur hat keine Lobby, die Menschen denken nicht darüber nach, dass zum Beispiel die Touristen auch wegen des kulturellen Angebots nach Österreich kommen, nicht nur wegen der schönen Landschaft. Die Leistung der Kultur für die Wirtschaft wird viel zu wenig gesehen. Man empfindet sie als elitär, ein Fass ohne Boden, das subventioniert werden muss und unsere Steuergelder frisst. Zudem sind Bühnenkünstler im Moment doppelt gestraft. Einerseits, weil sie den Beruf jetzt nicht ausüben können und andererseits, weil sie vom Staat im Stich gelassen, als Almosenempfänger behandelt oder sogar vergessen werden, das ist am schlimmsten. Man sieht die Kultur, wenn man sich mit ihr schmücken möchte. Während der Festspiele lagen beispielsweise stapelweise Einladungen zu Präsentationen und Eröffnungen in meiner Künstlergarderobe. Ich konnte unmöglich überall hingehen, schließlich ist man zum Arbeiten hier und braucht auch seine Erholungsphasen.
Gibt es für Sie schon konkrete Perspektiven für kommende Projekte, eventuell im Herbst?
Für mich persönlich hängt noch alles in der Luft. Bis in den Herbst wurde alles auf die nächste Spielzeit verschoben. Ich weiß es wirklich noch nicht. Das liegt auch daran, dass ich vorwiegend international auftrete und vom Reisen abhängig bin. Zum Glück hat mich die Covid - Krise nicht am Beginn meiner Karriere getroffen. Ich weiß nicht, ob ich da nicht aufgegeben hätte. Ich vergesse die mühsamen und entbehrungsreichen Anfänge nicht. Ich habe mich zum Beispiel einmal drei Tage lang nur vom „Zelten“ (Anm: Südtiroler Früchtebrot) meiner Mutter ernährt, damit ich das Geld für die Miete meiner Garconniere in Salzburg zusammenbekommen habe. Heute trifft es mich als etablierte Sängerin nicht so hart. Ich muss nicht überlegen, wie ich die Miete bezahlen kann, ich habe keine Existenzängste und so nutze ich die Zeit, um mich in Ruhe auf die nächsten Partien vorzubereiten, auch wenn natürlich die Sehnsucht, wieder auf die Bühne zu gehen, groß ist. Am Anfang war die Schockstarre, dann kommt die Zeit des Lamentierens aber irgendwann muss man sich am Schopf packen und das Beste aus der Situation machen. Allerdings gehe ich davon aus, dass sich in der Theaterlandschaft einiges ändern wird.