Anne-Suse Enßle - Blockflötistin

15.06.2020
Alumnae & Alumni Stories
Anne-Suse Enßle | © André Hinderlich

"Kulturelle Vielfalt als enorme Errungenschaft"

— Anne-Suse Enßle: Blockflötistin, Deutschland & Österreich

Wie haben Sie als Künstlerin die Corona-Zeit erlebt?

Ich habe die Zeit sehr ambivalent erlebt. Es war erstmal ein Schock und möglicherweise war ich zunächst naiv. Ich hätte nie gedacht, dass das kulturelle Leben so schnell einstürzt. Ich habe kurz bevor die Einschränkungen in Kraft getreten sind noch ein Projekt gespielt und ich hätte nie gedacht, dass es das letzte Konzert für lange Zeit ist. Es war in Innsbruck und es ging ja auch in Tirol los. Ich war mit meinem Baby unterwegs und wir dachten wir müssen natürlich aufpassen und immer Händewaschen usw. Aber ich hätte nie gedacht, dass nur eine Woche später die Grenzen geschlossen werden und man nicht mehr unterrichten kann. Das hat mich eiskalt erwischt. Es war ein Schock. Dann kam die Frage, wie macht man in der Situation weiter? Auf der anderen Seite muss ich auch sagen, wenn man mal alleine mit dem Instrument auf sich zurückgeworfen ist - man kann ja auch mit der Kammermusik nicht proben - das öffnet auch wieder ganz viele Türen. Ich wusste dann wieder, warum ich das als Beruf ergriffen habe und warum ich das so sehr liebe. Weil ich mal gezwungen war, mich ganz alleine mit meinem Instrument zu beschäftigen. Ohne das Drumherum, ohne Organisationstätigkeit und Koordination. Im Beruf ist es häufig doch so, dass man viele Dinge relativ schnell erledigen muss. Das war dann plötzlich nicht mehr notwendig. Man konnte sich eine Weile mit einem bestimmten Stück beschäftigen oder sich dort und da weiterentwickeln. Das fand ich schon toll. Obwohl ich schon gemerkt habe, dass mir die Interaktion mit anderen Musiker*innen ganz arg fehlt. Ich mache ja sehr viel mit Kammermusik und der Austausch fehlt mir total. Aber es ist auch richtig schön, dass man sich wieder besinnt, warum macht mir das eigentlich so viel Spaß. Warum nehme ich gerne täglich eine Blockflöte in die Hand. Das konnte man sich vorher so nicht vorstellen. Aber das war das Positive daran.

Also war das größte Problem die fehlende Interaktion?

Ich hatte ja das Glück, dass ich im Januar die Stelle als Pädagogin in Innsbruck angetreten habe. Ich hatte nicht die existenziellen Sorgen, obwohl ich auch viele Projekte verloren habe. Aber ich hatte zum Glück auch das andere Einkommen. Dadurch war ich natürlich privilegiert. Aber trotzdem habe ich immer wieder gedacht: ich möchte einfach wieder in einer Probe sitzen und mit anderen Musiker*innen einfach nur über Musik sprechen oder gemeinsam etwas erarbeiten. Das hat mir wahnsinnig gefehlt.

Das zweite, pädagogische Standbein war also sehr wertvoll?

Ja, absolut. Das ist auch eine ganz tolle Stelle in Innsbruck. Es gibt IGP-Studierende und ganz viele begeisterte Leute im Vorbereitungslehrgang, die auch sehr fleißig sind. Das war für mich auch sehr interessant zu sehen. Aufgrund dessen, dass ich gerade erst angefangen habe und dabei war mich einzuarbeiten, war das natürlich auch eine gewisse Gratwanderung, wenn alles sofort abgeschnitten ist. Man hat sich gerade kennengelernt und die Sachen platziert, die einem wichtig sind und dann geht das plötzlich im persönlichen Kontakt nicht mehr. Aber meine Studierenden haben so toll mitgemacht, engagiert und diszipliniert. Es hat wunderbar geklappt. Das hat mich auch gut durch die Zeit gebracht, da ich mit den Studierenden im Austausch war. Zum einen mit Videotelefonie, zum anderen haben wir mit Aufnahmen gearbeitet, die sie mir geschickt haben. Es gibt auch Dinge, die im normalen Unterricht nicht so viel Platz haben aber unbedingt in das künstlerische Fach mit reingehören. Das sind Hintergrundinformationen, Recherche usw. und darauf haben wir uns gestürzt. Es gab pro Woche eine Aufgabe, die man auch schriftlich bearbeiten konnte und so haben wir einfach für die Stücke, die in nächster Zeit kommen ein wenig vorausgearbeitet.

Mussten Sie auch Konzerte absagen?

Ja, natürlich. Ich bin jetzt an einem Punkt wo die Konzerte im nächsten Jahr abgesagt werden, weil die Konzerte von diesem Jahr dorthin verschoben werden. Es kommt jetzt quasi die zweite Absagewelle. Aber es wird einige Konzerte im Herbst geben, sofern die Lage so bleibt. Was mich sehr freut ist, dass wir einen Sommerkurs in Ossiach machen können, das ist fix. Das ist schon ein Lichtblick.

Wissen Sie schon wie das mit den Konzerten in Deutschland weitergehen wird?

Ja, durch meine Eltern, die Kirchenmusiker mit einer eigenen Konzertreihe sind. Sie sind an einer sehr großen Kirche mit etwa 1000 Plätzen. Wenn sie alle Regeln einhalten können ca. 180 Personen teilnehmen. Ich war gerade jetzt am Samstag in einem Konzert und das sah gespenstisch aus. Man kann es nur im Moment, wie ich glaube, nicht anders lösen. Es ist ein ganz schwieriges Abwägen. Die Vorgaben sind in Deutschland auch in jedem Bundesland anders. Der schwierigste Umstand ist, dass die Einschränkungen nicht mit einer zeitlichen Begrenzung verbunden sind. Wenn mir jemand sagt, es geht jetzt ein Jahr nicht, dann ist es halt so und ich kann mich darauf einstellen auch, wirtschaftlich. Aber die Situation, dass man gar nicht weiß um welche Zeitspanne es geht und da geht es Veranstaltern ja genau so, finde ich wirklich total schwierig. Wir haben in den Ensembles, in denen ich viel arbeite natürlich versucht, über die Distanz Konzepte und Programme zu erarbeiten. Es gibt schon Dinge die man im Vorfeld tun kann, aber wir haben alle gemerkt, dass es mit der Motivation gar nicht so einfach ist, wenn man nicht weiß, wann man die Konzerte auch spielen kann.

Welche Rahmenbedingungen würden Sie sich wünschen, was brauchen Sie, um wieder normal arbeiten zu können?

Mein Wunsch ist, dass in die Form des Konzertes viel investiert wird um es zu retten. Ich habe ein wenig Sorge bei der Beobachtung der Streamingdienste. Ich kann mich damit nicht so recht anfreunden. Ein Konzert ist mehr als Musik anzuhören. Es hat Atmosphäre, es ist an eine bestimmte Zeit gebunden und man kann es nicht immer wieder anhören. Damit ist es etwas ganz Besonderes. Die Kunst findet in einem vorgegebenen Zeitfenster statt und dann ist sie weg. Das macht auch einen großen Reiz aus. Ich wünsche mir, dass die Konzerte in dieser Vielfalt, wie wir sie bis jetzt hatten, erhalten bleiben. Wir waren ja in einer ganz wunderbaren Situation, dass wir nicht nur wenig große Konzertveranstalter hatten, sondern ganz viele kleine Kulturveranstalter-Initiativen. Das sehe ich besonders wichtig! Das hat unser kulturelles Leben unglaublich geprägt. Kulturelle Vielfalt ist eine enorme Errungenschaft. So soll es auch wieder werden. Leider fallen Dinge oft erst auf, wenn es sie nicht mehr gibt. Da gehören die großen Häuser genauso dazu, wie die kleinen Veranstalter und Festivals, weil sie die Musik dorthin bringen, wo die Menschen vielleicht nicht die Möglichkeit haben, drei Stunden zu fahren um in ein großes Konzerthaus zu gelangen. So haben Menschen die Möglichkeit, vor Ort gute und tolle Musik zu erleben.

www.blockfloetistin.com

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