Anna Stierle - Sängerin & Kunstvermittlerin

01.08.2020
Alumnae & Alumni Stories
Anna Stierle | © Privat

"Musiker*innen brauchen einen Bühne"

— Anna Stierle: Konzepte Lichtgrau, Sängerin & Kunstvermittlerin, Salzburg

Wie haben Sie die Corona-Zeit als Künstlerin erlebt?

Es kam alles so plötzlich und zu sehen, dass viele meiner Sängerkolleg*innen, mit denen ich vorher regelmäßig gesungen hatte, plötzlich vor dem Nichts standen, empfand ich als schockierend. Es war schon vor dem Shutdown die Situation in der Branche für freischaffende Sänger*innen äußerst schwierig. Die Zahl an jungen sehr talentierten Musiker*innen in Salzburg ist dank der Universität Mozarteum und den Salzburger Festspielen enorm hoch. Hinzu kommen noch jene, die von aller Welt hierher finden, weil diese Stadt eine unglaubliche Anziehungskraft für Kunstschaffende aller Art hat. Das drückt die Entlohnung gewaltig und eine Ausfallsversicherung gibt es ja nicht für normale Freischaffende bzw. die Raten wären sowieso viel zu hoch. Dafür profitieren wir hier natürlich aber auch von einem sehr vielfältigen kulturellen Angebot. Wir waren mit der Mini-Märchenoper gezwungen alle Vorstellungen abzusagen. Geplant waren mehrere Veranstaltungen von „Hänsel und Gretel“ nach E. Humperdinck. Umso schmerzhafter war es, als wir erfuhren, dass wir in Wien vor einem ausverkauften Saal gespielt hätten. Unsere Neuproduktion Produktion „Die drei Rosen“ war ein Auftragswerk, das ich an Milan Stojkovic, unserem Pianisten, und Julia Ortmann-Radau, der Librettistin, vergeben hatte. Das Geld war plötzlich weg, weil es ohne Aufführungsnachweis auch keine Förderung gibt und die bisherige harte Arbeit lag plötzlich in Trümmern. Viel schlimmer empfand ich aber das lange Warten und nicht zu wissen, wann ich wieder anfangen kann Veranstaltungen zu planen. Alle, mit denen ich sprach, waren rat- und hilflos. Wir nutzten diese Zeit sehr intensiv, um inhaltlich zu arbeiten. Es entstand ein enormes Potenzial an kreativem Gedankengut und das brachte uns auch auf die Idee, das Heckentheater im Mirabellgarten als Spielstätte zu akquirieren. Ich muss sagen, dass meine wahnsinnig tollen Kolleg*innen mich in dieser Zeit auch sehr bestärkt haben weiter zu arbeiten und Lösungen zu finden. Sie waren bereit das Risiko zu tragen, kaum etwas zu verdienen und viel zu arbeiten. Das hat uns als Team sehr zusammenwachsen lassen!

Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie als Künstlerin, um wieder „normal“ arbeiten zu können?

Mehr Mut beim Publikum Veranstaltungen zu besuchen. Einen realistischen Blick. Viele Veranstaltungen sind momentan mit freiem Eintritt. Die Menschen müssen auch überlegen, wo kommt das Geld für diese Produktion her? Wer zahlt das und was bekommen die Künstler*innen? Würde ich auch zu dieser Veranstaltung gehen, wenn ich Eintritt zahlen müsste? Was kostet eine Produktion überhaupt? Es gibt Leute die glauben, dass man mit Eintrittsgeldern Millionen verdienen kann… Wir sind in Salzburg verwöhnt, was das kulturelle Angebot angeht. Die ganze Stadt profitiert vom Image der Mozartstadt. Dabei vergessen viele, dass es doch eigentlich die klassische Musik ist, die (vor Corona) tagtäglich tausende von Besucher hierherlockt. Chöre aus aller Welt kommen, nur um am Domplatz ein Ständchen singen zu können und junge Menschen zahlen viel Geld für Meisterkurse und Workshops für klassische Musik und Privatstunden. Salzburg ist der Klassik-Hotspot im Herzen Europas. Das spürt der Handel und der Tourismus. Deshalb veranstaltet zum Beispiel auch der Altstadtverband etliche gratis Konzerte für Einheimische und Touristen. Ich könnte mir neben der Ortstaxe so etwas wie eine zusätzliche Taxe für Touristen als Kulturabgabe vorstellen. Das Geld sollte als Gagenaufstockung für Musiker*innen genutzt und eine einheitliche Gagentariftabelle etabliert werden. Eine Gewerkschaft für in Salzburg arbeitende freischaffende Musiker*innen zu gründen wäre womöglich eine zusätzliche sinnvolle Maßnahme. Ich habe mich schon lange vor Corona für eine Mindestsicherung oder eine zusätzliche Steuerentlastung für freischaffende Musiker*innen ausgesprochen. Natürlich gekoppelt mit strengen Auflagen und Bedingungen! Ich erlebe auch das Phänomen, dass ich für Events den musikalischen Rahmen planen soll und ausdrücklich junge „günstige“ Mozarteumsstudierende akquirieren soll. Ich weise die Leute dann darauf hin, dass es bei mir Standardtarife gibt. Leider tun das andere in der Branche nicht und viele Mozarteumstudent*innen sind auf einen Nebenerwerb angewiesen und unterbieten den Marktpreis. Sie zahlen in der Regel als Student*innen keine Sozialabgaben. Das ist unglaublich mühsam für die ehrlichen Selbständigen in der Branche und schadet letztlich allen.

Gibt es schon wieder Perspektiven und neue Projekte, die Sie durchführen können?

Ja, definitiv. Ich habe fieberhaft nach Möglichkeiten für die Mini-Märchenoper gesucht. Geholfen hat mir da letztlich auch die unglaublich motivierenden und netten Gespräche mit Magistratsbediensteten oder auch Kulturveranstaltern. Alle fanden das Projekt großartig und das motiviert weiter dran zu bleiben und Probleme zu lösen. Es haben sich manche Türen geschlossen aber viele neue Türen geöffnet.

Gibt es noch etwas, das Sie uns aus Künstlerinnensicht mit auf den Weg geben wollen?

Musiker*innen brauchen eine Bühne. Gerade jetzt sind Künstler*innen fast verzweifelt auf der Suche nach Möglichkeiten, um zu performen. Viele gehen auf die Straße oder singen aus dem Fenster. Man muss da schon sehr viel Liebe beim Üben mit dem Instrument oder der Stimme mitbringen und es auch als Privileg betrachten, wenn man heutzutage dafür bezahlt wird oder man vor einem vollen Saal auftreten darf. Demut, Disziplin, Geduld und Respekt sind wohl die wichtigsten Tugenden, die man gerade jetzt in seinem Werkzeugkoffer als Musiker*in braucht.

www.kuenstlerkanzlei.com

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