Die Aufführung von Vincenzo Bellinis Oper I Capuleti e i Montecchi präsentierte eine eindringliche Neuinszenierung des Meisterwerks. Unter der Regie von Alexander von Pfeil entstand eine Produktion, die den Fokus auf die unerbittliche Feindschaft zweier Clans und die Verzweiflung ihrer Opfer legte. Diese Inszenierung verlegte die Geschichte in einen universellen, zeitlosen Raum und brachte Bellinis düstere Vision von Liebe und Krieg mit erschütternder Klarheit auf die Bühne.
Giuseppe Verdi: Falstaff
Übersicht
Sir John Falstaff ist ein Naturereignis: seine Erscheinung imposant, sein Auftreten gebieterisch, seine Art besitzeinnehmend. Und am faszinierendsten: Das Ereignis kümmert sich nicht um Regeln, Gepflogenheiten oder Anstand, es existiert einfach zu seinem Selbstzweck, gewissermaßen für nichts als seinen Bauch: Studierende der Universität Mozarteum inszenierten Verdis späte Komödie – sein Vermächtnis über die Laster und Schwächen der Menschen, an dessen Ende der alte Komponist einen Schritt zurücktritt, seinen schwarzen Hut zieht und den zappelnden Figuren beim Ringen um die letzten Reste ihrer Würde zusieht.
Musiklische Leitung
Kai Röhrig
Szenische Leitung
Florentine Klepper
Ausstattung
Romy Rexheuser
Dramaturgie
Heiko Voss
Über die Produktion
Dramatur Heiko Voss über "Falstaff":
Falstaff füllt die Leere, die sich in der Beziehung von Alice und Ford aufgetan hat. Dafür macht er das ganze Haus zu seinem Spielfeld – ohne Moral, ohne Rücksicht, ohne Skrupel, aber mit enormer Lebenslust und -freude. Die Etiketten, mit denen der Ford’sche Besitz gekennzeichnet ist, interessieren ihn nicht. Er verzehrt und verdaut einfach, was ihm zwischen die Finger kommt. Die Ford’sche Ehre? Ist für Falstaff lediglich eine Begriffshülse, hinter der sich nichts verbirgt als abgestandene Luft. Also hält er all denjenigen eine aufrüttelnde Predigt, die ihn mit dem nutzlosen Begriff behelligen. Falstaff ist ebenso faszinierend wie beängstigend. Denn Falstaff verletzt. Falstaff ist der Phantomschmerz, der nicht zu verorten ist. Falstaff ist das Verborgene, das Unterdrückte, das Unheimliche, das buchstäblich herausplatzt – dafür sorgt schon das Orchester, das Verdi immer wieder in Stellung bringt, um Falstaffs Attacken zu sekundieren. Falstaff ist der Katalysator für so unterschiedliche Gefühlswelten wie diejenigen Fords und Alices. Dass er dabei so reizvolle wie dunkle Züge zum Vorschein bringt, lässt ihn zu einem unberechenbaren Faktor werden. Falstaff verkörpert ein bedrohliches Prinzip, dessen Gefährlichkeit anfangs auch Alice unterschätzt. Am Ende wird die Bedrohung von allen bis aufs Blut bekämpft und niedergeschlagen. Der Leidtragende ist Falstaff. Wird er zunächst zum unfreiwilligen Spielball der Geschlechter-Auseinandersetzungen, so muss er schließlich herhalten, um die Gräben, die dabei aufgerissen wurden, wieder zu schließen. Zumindest den Versuch ist man sich schuldig.
Falstaff schuldet man nichts. In grausamer Selbstjustiz veranstalten die jungen Menschen eine regelrechte Menschenjagd, die fast schon an eine schwarze Messe erinnert und in der Verdi nicht umsonst den Ton seines Requiems anschlägt: Ruhe er in Frieden. Hat Falstaff, der urplötzliche Mittelpunkt ihres Seins, nicht die ganze Welt zu seiner Spielwiese erklärt? Soll er sich also einen anderen Ort suchen, an dem er in Frieden ruhen kann – beziehungsweise in Ruhe Unfrieden stiften kann. Doch Unruhe und Erregung waren schon vor Falstaff da. Und werden auch nach Falstaff da sein. Das ahnt vor allem Alice. Sie weiß, dass sie in ihrer Enttäuschung zu weit gegangen ist, die Spielbälle jongliert hat, um ihre ganz persönliche Rache-Show zu veranstalten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Meisterhaft. Und bitterböse. Hat sie das gewollt? Oder hat sich das Spiel verselbstständigt? Und was geschieht auf der Zielgeraden? Hat Alice zu viel gesehen? Zu viel Hass, Sadismus und Gewalt? Oder setzt die Erkenntnis, sich endgültig von Ford entzweit zu haben, schon früher ein?
Alice hat ausgespielt. Und Verdi lässt offen, ob und wie man sich arrangieren wird. Seine Schlussfuge ist ein genialer Coup: So ist das Leben eben. Ein Spiel hört auf, ein anderes beginnt. Einmal trifft es ihn und einmal trifft es sie. Sei’s drum. Was jedoch bleibt, ist der schale Nachgeschmack, den die Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen hinterlassen hat. Und die Frage, welche Rolle man beim nächsten Mal wohl einnehmen muss – im großen Welttheater, das für alle die Bühne stellt, aber nicht für alle das gleiche Maß an Leben bereithält.
Pressestimmen
- Drehpunkt Kultur vom 16.5.2024 (Gottfried Franz Kasparek)
„Il vecchio John“ ist unsterblich
- Dorfzeitung vom 19.5.2024 (Elisabeth Pichler)
Produktion & Besetzung
- Musikalische Leitung: Kai Röhrig
- Regie: Florentine Klepper
- Ausstattung: Romy Rexheuser
- Dramaturgie: Heiko Voss
- Sinfonieorchester Universität Mozarteum
- Mrs. Alice Ford: Anna-Maria Husca / Donata Meyer-Kranixfeld
- Nannetta: Anastasia Fedorenko
- Mrs. Quickly: Jesse Mashburn
- Mrs. Meg Page: Julia Maria Eckes
- Sir John Falstaff: Sergey Korotenko
- Mr. Ford: Jeconiah Retulla
- Fenton: Lucas Pellbäck
- Dr. Cajus: Konstantin Igl
- Bardolfo: Yonah Raupers
- Pistola: Dominik Schumertl
- „The Fairies“: Magdalena Brandauer, Emma Kindinger, Esther Michel-Spraggett, Agnes Opitz
15. Mai 2024 um 19:00 Uhr
16. Mai 2024 um 19:00 Uhr
18. Mai 2024 um 16:00 Uhr (+ Livestream)
Max Schlereth Saal