Ion Marin: Vom versteckten Glück der sinfonischen Musik

01.10.2022
Interview
Ion Marin | © Stas Levshin

Ion Marin, international gefragter Dirigent, Gründer des Cantus Mundi National Programm und Inhaber der Claudio Abbado-Stiftungsprofessur an der Universität Mozarteum, dirigiert am 18. Oktober erstmal das Sinfonieorchester der Universität Mozarteum im Haus für Mozart. Ein Gespräch über Wahrheit, Glück und die Kraft der Musik.

Am 18. Oktober dirigieren Sie erstmals das Sinfonieorchester im Haus für Mozart – als nachgeholtes Antrittskonzert Ihrer Professur. Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das Konzert?

Dieses Konzert ist für mich aus verschiedenen Gründen besonders: Ich habe meine Professur an der Universität Mozarteum vor zwei Jahren angetreten, aber es war aufgrund von Corona fast wie eine geheime Mission, da die klassische Lehrtätigkeit, ein Zusammenkommen oder gemeinsames Arbeiten mit den Studierenden nicht möglich war. Für die Studierenden war das eine schwierige Zeit, die so praktische Erfahrungen gar nicht machen konnten. Aber gerade die Arbeit in einem studentischen Sinfonieorchester ist für diese von großer Bedeutung, als neue Dimension und Erlebnis im Zusammenspiel mit anderen angehenden Musiker*innen, und als wichtige Vorbereitung für das spätere Berufsleben. Und ich selbst lerne dabei als Ergänzungs- und Vertiefungsprozess für die Ausbildung der dirigentischen Studierenden hinzu und komme von daher dieser Aufgabe mit Enthusiasmus und großem Respekt gerne nach.

Auf dem Programm stehen Tschaikowsky und Beethoven: Was fasziniert sie an diesen Werken und an den beiden Komponisten?

Das Programm wurde bereits zum Antritt meiner Professur zusammengestellt und wir wollten auch beim neuen Termin bei dieser Idee des Programms bleiben. Das Tripelkonzert ist wie ein Aufruf zum gemeinsamen dialogischen Musizieren. Dabei wird die solistische Perspektive auf drei Instrumente verteilt – ein Klaviertrio, welches mit dem Orchester konzertant wetteifert (eine zu der damaligen Zeit wirklich einmalige innovative Idee, die Beethoven anscheinend als Erster umgesetzt hat). Die f-Moll Symphonie op. 36 von P.I. Tschaikowsky ist dagegen ein bemerkenswert aktuelles Werk im Sinne einer europäischen Idee, indem Tschaikowsky diese in diversen europäischen Städten komponierte (St. Petersburg, Kiew, Moskau, Rom usw.). Eine Sinfonie in einem echt europäischen Geist, entstanden unter dem Eindruck von Reisen und unterschiedlichen Kulturen. Den Musiker*innen jedenfalls gefällt das Programm sehr und sie werden das Publikum garantiert mit auf die Reise mitnehmen.

Nach Ihrem Studium an der Universität Mozarteum kehren Sie als Univ.-Prof. zurück – welche Schwerpunkte haben Sie sich für Ihre Lehrtätigkeit gesetzt?

Meine Stiftungsprofessur ist nicht zufällig nach Claudio Abbado benannt: Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig es ist, als Dirigent mit jungen Musiker*innen zusammenzuarbeiten und gemeinsame Erfahrungen und dieses Gespür für die Musik zu teilen. Solches gilt gerade für die aktuell herausfordernden Zeiten, die Arbeit an der klassischen Musik gibt Selbstbewusstsein und Vertrauen und vermittelt vor allem, wie wichtig klassische Musik gerade in den derzeitigen Krisenzeiten ist. Die Verbindung des Orchesters zum Publikum schafft eine Art von Community – und hinter jeder Note in einem Konzertsaal steht ein Mensch, was man dabei nicht vergessen darf. Und gerade die große sinfonische Musik des 19. Jahrhunderts hat da viel zu geben, und die gemeinsame Erfahrung auf der Bühne ist eine fantastische Art von Bereicherung und Offenheit, um glücklicher zu werden. Dieses versteckte Glück in der sinfonischen Musik möchte ich den jungen Musiker*innen vermitteln, eine gemeinsame Reise zu machen und musikalische Wahrheit zu finden.

Sie haben neben ihrer musikalischen Ausbildung auch Religionsgeschichte und Philosophie studiert, daher eine philosophische Frage: Stellt Musik für Sie den schönsten, zutiefst menschlichsten Ausdruck dar?

Als Profis sagen wir nicht, dass die Musik nur „schön“ ist, sondern sie ist vor allem wahr. In der Wahrheit ist Schönheit, Menschlichkeit, Mitgefühl und Freude am Leben. Musikunterricht bedeutet zwar zunächst Arbeit im Unterricht, aber es hat auch Ähnlichkeit etwa mit einer antiken Akademie in Athen und folgt gewissermaßen dem sokratischen Dialog: Man spricht mit anderen so lange, bis aus dem Dialog heraus dann eine (hoffentlich) vollgültige Wahrheit entsteht. Musik zu spielen oder zu dirigieren ist immer eine Interpretation des Notentextes, und wir haben zutiefst Respekt vor Komponist*innen, Partituren und deren Analysen. Aber es gibt keine universal gültige Partitur der Interpretation, dafür haben wir keine Anleitungen. Wir sind es, die die Komposition immer neu ins Leben rufen. Man dirigiert vielleicht aus einer autographen Originalfassung einer Partitur – aber was ist die menschliche Originalfassung der Interpretation? Die Themen in den Partituren könne dieselben sein, aber die Interpretationen können völlig unterschiedlich ausfallen und dabei ganze gegenteilige Emotionen hervorrufen. Deshalb ist auch die Philosophie der Musik keine statische Theorie – es ist eine Einladung, mit vollem Bewusstsein tiefer in grundlegende Fragen des Menschseins einzutauchen.

Sie haben 2012 in ihrem Geburtsland Rumänien die Projekte Cantus Mundi und Symphonia Mundi für benachteiligte Kinder und Jugendliche gegründet – wie hat sich das Projekt bis heute entwickelt?

Das ist die einzige Sache, die mich noch mit meinem Geburtsland verbindet. Ich bin dankbar, dass ich Musiker sein darf und meine Erfahrungen auch in Österreich teilen kann. Und dieses Privileg wollte ich vor allem den Kindern in Rumänien zurückgeben: Kindern aus den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und benachteiligten Gruppen, die von Anfang an ausgeschlossen sind: Kinder mit Beeinträchtigungen wie dem Down-Syndrom, oder blinde Kinder. Cantus Mundi und Symphonia Mundi soll es diesen Kindern ermöglichen, miteinander Musik machen. Es spielt dabei auch keine Rolle, aus welcher sozialen Schicht die Kinder kommen – die Musik verbindet und das gibt Hoffnung, für eine Gesellschaft von morgen, auch auf europäischer Ebene. Denn was können wir Musiker überhaupt konkret für Benachteiligte tun? Wir können diese kleinen Brücken bauen, und dann helfen sich die Kinder untereinander und geben das weiter, was sie im Projekt gelernt haben. Mit Hilfe der Hilti Stiftung in Liechtenstein haben wir es geschafft, dass bis heute rund 75.000 Kinder mit diesem Programm Unterstützung erhalten haben.

Welche Pläne haben Sie für das Sinfonieorchester der Universität Mozarteum in Zukunft?

Das Orchester ändert sich jedes Jahr, es ist ein ständiger Formationsprozess. Im Fokus steht dabei die Vorbereitung auf das spätere Berufsleben der Studierenden, natürlich vor allem im Bereich der großen sinfonischen Musik. Im Orchester müssen die Studierenden vor allem lernen, den Individualismus zur Seite zu stellen und sich in das gemeinsame Musizieren einzufügen. Dafür wird es viele Gelegenheiten geben, etwa in Akademien mit den Musikuniversitäten Graz und Wien und anderswo. Ich hoffe, dass sich das Sinfonieorchester der Universität Mozarteum bald zu einem Botschafter der Universität entwickeln wird. Das wäre dann eine Gelegenheit, eine „Gemeinschaft der sinfonischen Musik“ zu schaffen. Jetzt spielen wir das erste Konzert im Haus für Mozart, aber nur „the sky is the limit“, wie man sagt.

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 1. Oktober 2022)

Ich möchte jungen Musiker*innen das versteckte Glück in der sinfonischen Musik vermitteln.

— Ion Marin

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