Univ.-Prof.in für Grafik & Malerei / Bildnerische Erziehung / Beauftragte für das Studium der Kunst- und Werkpädagogik Innsbruck
Elisabeth Schmirl: Wir müssen jeden Tag versuchen, die Welt zu retten
Spätestens seit der digitalen Revolution sind wir mit einer neuen Dimension von Realität konfrontiert,
die Kommunikation, Konsumverhalten, Sozialisationsprozesse, Bildkultur und Weltsicht fundamental verändert.
Ein Gespräch mit Elisabeth Schmirl über die aktuelle Relevanz der bildnerischen Erziehung.
Elisabeth Schmirl ist bildende Künstlerin und Professorin für Kunstpraxis an der Universität Mozarteum, Standort Innsbruck, für die Klassen Malerei und Grafik der bildnerischen Erziehung. Sie ist Ausstellungsmacherin und Kulturarbeiterin, Obfrau von periscope, einer Initiative für Kunst- und Zeitgenossen/- genossinnen, sowie SUPER, einer Initiative für Zwischennutzung von Leerständen. In all ihren Rollen geht es vor allem darum, Handlungsraum entstehen zu lassen und damit neue Landkarten und Navigationsmöglichkeiten für sich und andere zu entwickeln.
UN: Frau Schmirl, ist die bildnerische Erziehung als ein Fach, das Gestaltung in einem sehr umfassenden Sinn vermittelt, heute noch wichtiger als vor der Erfindung von Computern?
Elisabeth Schmirl: Die Fundierung einer künstlerischen Praxis, die Teil der bildnerischen Erziehung ist, arbeitet stets mit dem Warum, mit dem Hinterfragen und Ausbilden von neuen Systemen und Kriterien, mit
alternativen Szenarien und Sortierfunktionen. Diese inhärent künstlerische Fragestellung, warum man die Dinge tut, hilft enorm dabei, sich im System Welt zurechtzufinden. Spannend ist natürlich auch die Frage,
was eben nicht funktioniert, wo Strukturen scheitern und wie man sich dazu verhält - die finsteren Ecken zu beleuchten, wenn man so will. Auch das physische Tun der künstlerischen Praxis, etwas mit den Händen
entstehen zu lassen, ist ein wichtiger Aspekt. Es vereinnahmt und begeistert und läuft manchmal mit einem davon. ImWechselspiel gilt es immer wieder die Rolle der geduldig, präzis Beobachtenden einzunehmen.
Oft weiß man nicht, wohin das alles führen wird. Doch genau in dieser prozessualen beobachtenden Kompetenz, die in einer Verwertungsgesellschaft zunächst wenig Platz hat, stecken die Erfindungen von
morgen. Sie ist die Basis für Handlungsspielraum, für ein Um- und Neu- und Andersdenken auch über die Kunst hinaus. Wenn man das bildnerische Denken und Handeln also im Sinne eines reflektierenspiel den, wahrnehmenden und gestaltenden prozessualen Tuns versteht, dann bin ich ziemlich überzeugt von der Relevanz. Jedenfalls scheint es so, als müssten wir dringendst Umgangsweisen finden und für uns, aber auch für kommende Generationen begründen, warum wir wie handeln. Diese Art von Dialog zu führen ist das „Kerngeschäft“ künstlerischer Prozesse. Die Aufgabe, dies erfahrbar zu machen und zu vermitteln, liegt bei der bildnerischen Erziehung.
UN: Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Schmirl: Kennen Sie die wunderbaren Karten, die im Haus der Natur gerade zur Lithografie ausgestellt werden? Es gibt dort kunstvoll gedruckte detaillierte Abbildungen aus der Tierwelt. Vor allem aber kann man einen Blick auf die Vorstellungen, die Weltsicht einer längst vergangenen Zeit werfen. Man erkennt den zeichnenden Menschen dahinter und sehr viel Interpretation und subjektiven Blick. Nun kann und soll man sich mit der wunderbaren Technik der Lithografie auseinandersetzen, aber darüber hinaus kann man sich auch bewusst werden, dass all unsere Algorithmen, Systeme und Annahmen über die Welt durch unsere Sinne gefärbt sind. Und weil wir so viel außerhalb von uns selbst forschen, liegt der blinde Fleck bei uns als Beobachterinnen und Beobachter. In der künstlerischen Herangehensweise sind die Kartografin, der Kartograf, die Karte, das Territorium und auch die Art und Weise, wie die Karte erstellt wird, gleichermaßen interessant. Das hilft dem Verständnis und macht dieWelt und alte oder auch die eigene Karte um so vieles spannender. Zudem ist es ein sehr empathischer Zugang, weil man sich dafür zu anderen Positionen hinbegeben muss. Will man eine alternative Kartografie, dürfen die Prozesse dorthin jedenfalls nicht auf ihre Nützlichkeit
hin angelegt werden.
UN: Was muss das Studium bildnerische Erziehung künstlerisch und fachdidaktisch heute für die Zukunft leisten?
Schmirl: Wir sollten versuchen, ausreichend Zeit und Raum für künstlerische Dialoge und Prozesse, für diese poetischen Verdichtungen zu schaffen. Denn all die Erfahrungen müssen von den Studierenden gemacht werden, um sie später vermitteln zu können. Und natürlich wollen wir auch jeden Tag versuchen, die Welt zu retten (lacht). Indem wir uns, wie Peter Weibel es formuliert hat, als kritische Ingenieurinnen und Ingenieure der Zukunft begreifen. Ein schönes Beireflektierenspiel dafür ist unsere Semesterausstellung Alice & Gulliver, die wir im Team der Bildnerischen IBK im Wintersemester entwickelt haben. Wir experimentierten spielerisch mit modellhaften Zugängen und Technologien und integrieren die
Erkenntnisse in zukünftige Projekte.
UN: Als bildende Künstlerin beschäftigen Sie sich schon lang mit den visuellen, von Selbstinszenierung und Maskierung geprägten „Pathosformeln der heutigen Zeit“ (Bärbel Hartje zu „Youer than You“) und greifen dabei auf ein umfassendes digitales Archiv zurück, um Assoziationsketten freizulegen. Was beobachten Sie dabei?
Schmirl: Eben dieses Interesse am Sortieren, Ordnen, Zusammenräumen, Gliedern und an Verhältnismäßigkeiten taucht immer wieder in meiner Arbeit auf. Vieles passiert intuitiv. Ich beobachte darin meine eigene Umgangsweise mit dem Vorhandenen, meine Reaktion auf die Menge an Daten, auf die Komplexität der heutigen Zeit. Ariadne von Schirach hat mal gesagt: „Wir sind alle hier, der ganze Rest auch, sehr unordentlich die ganze Sache. Aber wir Menschen sind anpassungsfähige, empfindsame, kreative und träumende Kreaturen. Und jetzt heißt es aufräumen.“ Dem kann ich mich nur anschließen
und das ist wahrscheinlich tatsächlich auch die Aufgabe für uns alle – sortieren, was schon da ist, damit umgehen.
UN: Neben Ihrem Interesse für Kunstproduktion im digitalen Zeitalter und die digitale Gesellschaft im Allgemeinen betreiben Sie eine Risografie und Druckwerkstatt in Salzburg: #printisntdead. Wie verbinden Sie die beiden Welten?
Schmirl: Die Frage nach der Verdinglichung, nach dem Umgang mit realen Objekten, die ich als Künstlerin schaffe, stellt sich mir, wenn ich tagelang in meinen digitalen Ordnern sortiert habe. Sie ist Teil meines Prozesses. Auch hier versuche ich, die Frage nach dem Warum für mich zu klären. Was finde ich daran spannend, historische Drucktechniken, Diazotypien oder Risografien für die Verkörperung von Konstrukten
aus digitalen Archiven zu verwenden? Für mich sind das alles zutiefst physische und materielle
Sensationen, die diese Techniken hervorrufen, Prozesse, die ich mir selbst erst erarbeiten muss. Je größer die Distanz der Welten, desto mehr Reiz hat es für mich zu erkennen, warum und wo die Fäden zu verknüpfen sind. Ich handle da sehr intuitiv und bin stets selbst überrascht über die Erkenntnisse dieser Forschungsreisen.
UN: Sie sind nicht nur bildende Künstlerin, Lehrende und Vermittelnde, sondern auch Obfrau von periscope und SUPER. Was ist das Spannende an diesen Initiativen?
Schmirl: Der Reiz und die Herangehensweise sind ähnlich wie in meiner Rolle als Künstlerin und Vermittlerin. Es geht in all meinen Rollen zumindest in einem Aspekt darum, Handlungsraum zu schaffen, eine neue Landkarte des Terrains für sich selbst und für andere zu zeichnen und entstehen zu lassen. Salzburg und Innsbruck sind großartige Städte mit viel Geschichte und unzähligen Ebenen. Als Kulturschaffende hier für sich Raum zu finden, gedanklichen und physischen gleichermaßen, ist eine Herausforderung. SUPER greift dieses Bedürfnis auf einer breiteren Ebene auf und periscope
widmet sich diesen Raumfragen im Bereich der bildenden Kunst. Mit beiden Initiativen versuchen wir im Team als Kulturschaffende, Räume des kulturellen Austauschs, des Wissens, des Miteinanders zu
kreieren und zum Teil unserer Karte von Lebenswelt werden zu lassen.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 6. März 2021)