Bedrohte Autonomie?

06.03.2021
Interview
Porträts, Mann, Frau | © Universität Mozarteum

Mit der Übernahme der Universität für Theater und Filmkunst Budapest durch eine regierungsnahe Stiftung setzt in Ungarn eine Bewegung ein, die längst zu einem europäischen Thema geworden ist – die Wahrung der Autonomie von Universität und Bildung.

Ein Gespräch mit Christoph Lepschy und  Hildegard Fraueneder.

Es geht um die Schärfung
des kritischen Blicks, um
Wachsamkeit in einem
viel umfassenderen Sinn.

— Hildegard Fraueneder

UN: Herr Lepschy, bereits 2010 hat die zweite Regierung Viktor Orbáns ihre „Attack on Culture“ ausgerufen. Warum wird der Widerstand gerade jetzt so laut?

Christoph Lepschy: Offenbar ist mit der Zerstörung der Autonomie der SZFE (Universität für Theater
und Filmkunst Budapest) eine Schwelle überschritten worden, die insbesondere die Theater- und Filmschaffenden nicht hinnehmen wollen. Seit ungefähr zehn Jahren ersetzt die Regierung Orbáns Personal in Kulturinstitutionen und richtet diese, wo sie es kann, auf nationalkonservative und
antieuropäische Inhalte und Propaganda aus. Viele Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende sind nun nicht mehr bereit, die seit Jahren andauernde Aushöhlung der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit
von Wissenschaft und Kunst mitzutragen. Und weil die Bedrohung der Autonomie auch im demokratiepolitischen Kontext Europas ein immer drängenderes Thema wird, gibt es eine breite Welle internationaler Solidarität für die ungarischen Kolleginnen und Kollegen. 

UN: Was genau ist in Budapest passiert? 

Lepschy: Als die Universität für Theater und Filmkunst von der regierungsnahen Stiftung übernommen wurde, sind das Rektorat, der Senat, viele Professorinnen und Professoren und Departmentsleitende zurückgetreten. Im nächsten Schritt gab es massive Proteste der Studierenden und Lehrenden,
die die Universität zirka 60 Tage lang besetzten und gemeinsam eine „Free Republic of Learning“ gründeten. Sie haben sich selbst eine demokratische Verfassung gegeben, während der Druck seitens der Regierung immer weiter stieg. Daraus ist jetzt tatsächlich die Gründung einer freien Universität
für Theater und Filmkunst hervorgegangen, die unabhängig weiterarbeitet – mit denselben Lehrenden und Studierenden, aber an einem anderen Ort in Budapest. Das ist schon ein erstaunlicher Vorgang!
Einerseits, weil er mitten in der Coronasituation passiert, und andererseits, weil es ein prekäres und bewundernswert mutiges Vorhaben ist. Eine Gruppe europäischer Universitäten, darunter die Universität Mozarteum Salzburg, versucht nun, infrastrukturell und administrativ zu helfen, den Studienbetrieb
in Budapest aufrechtzuerhalten. 

UN: Im Zuge der Protestaktionen gegen die Novellierung des österreichischen Universitätsgesetzes
wurde immer wieder vor einer „Orbánisierung“ gewarnt. Was sagen Sie dazu?

Hildegard Fraueneder: Ich finde es äußerst wichtig, dass bildungs- und demokratiepolitische Themen, die in der Regel keinen bedeutenden öffentlichen Resonanzraum finden – aktuell die Situation in Budapest
oder die UG-Novelle in Österreich –, mit aller Kraft weitergetragen werden. Ohne sie allerdings genuin miteinander zu verknüpfen. Die Pressemeldungen, die eine „Orbánisierung an Österreichs Universitäten“
prophezeiten, werden den Senaten auch bis heute vorgeworfen. Tatsächlich muss man die Verknüpfung auch gar nicht machen, weil es in Wirklichkeit um etwas viel Grundsätzlicheres geht. Nämlich um die
Schärfung des kritischen Blicks, um Wachsamkeit in einem viel umfassenderen Sinn. 

UN: Ein überarbeiteter Universitätsgesetzesentwurf liegt mittlerweile vor. Haben die vielen Stellungnahmen und Protestaktionen etwas gebracht? 

Fraueneder: Es wurden einige Paragrafen korrigiert, trotzdem ist es ernüchternd.Weil abgesehen von der bereits bekannten Reduktion des Ausmaßes an Mindeststudienleistung von 24 auf 16 ECTS wenige der
zentralen Kritikpunkte der Studierenden Berücksichtigung gefunden haben. Die Idee eines Gesetzeswerks mit dem Ziel der Effizienz, des möglichst schnellen Studierens und Durchziehens, die ist im Grunde gleich
geblieben. Auch die meisten Kritikpunkte, die von den Senaten eingebracht worden sind, wurden kaum eingearbeitet. Zudem sind wirklich unzählige Stellungnahmen zu Drittmittelprojekten und befristeten Lehraufträgen abgegeben worden, die sich gegen die Änderungen des Paragrafen 109, der
Kettenverträge regelt, aussprachen. Auch sie wurden ignoriert. 

UN: Und die berühmte Sache mit der Wiederbestellung der Rektorin, des Rektors? 

Lepschy: Die wurde bedingt korrigiert, ja. Allerdings war der Vorschlag auch so ungeheuerlich, dass wir wirklich nicht so recht wussten, wie uns geschieht. Und es bleibt auch jetzt eigenartig, weil der Senat bei der Wiederbestellung zwar wieder dabei ist, aber nur mehr eine einfache Mehrheit notwendig
ist. Die Richtung ist also weiterhin klar: Man will die gewählten Gremien schwächen, die Mitbestimmungsrechte werden eingeschränkt. Ein kleines Detail, das gar nicht so viel diskutiert worden ist, zeigt gut die dahinterstehende Absicht der politischen Einflussnahme: Es gab den Versuch,
Universitätsräte in Zukunft parteipolitisch besetzen zu können. Im gültigen Universitätsgesetz steht explizit, dass Funktionärinnen und Funktionäre einer politischen Partei nicht den Universitätsräten angehören
dürfen. Im Entwurf der Novelle tauchte dann plötzlich der Zusatz auf, dass das nur auf Bundes- und Landesebene gilt. Das heißt, Parteifunktionäre auf lokaler oder europäischer Ebene hätten damit durchaus
als Uniräte entsandt werden können – das ist jetzt wieder zurückgenommen worden. Bemerkenswert ist dennoch der Gedanke, der dahintersteht. Und diesen Geist atmet die Novelle nach wie vor.

Fraueneder: Ja, und die Tendenz, die Rektorate zu stärken, zieht sich definitiv durch. Denn es gibt viele solcher Neuerungen, wie die Richtlinienkompetenz und das Initiativrecht, mit denen die Rektorate künftig Einfluss auf die Gestaltung der Curricula nehmen sollen, und zuletzt die Entsendung eines beziehungsweise einer Berufungsbeauftragten vonseiten des Rektorats. Mit dieser Stärkung der Rektorate geht eine Schwächung der weisungsfreien Kollegialorgane und der Mitbestimmungsmöglichkeiten
der Universitätsangehörigen und gewissermaßen auch der demokratischen Verfasstheit der Universität zugunsten einer autoritäreren Führungsstruktur einher. 

Lepschy: Genau, und jetzt wird selbstverständlich nicht das Wort „autoritär“ verwendet, man spricht von „effizienter Führungsstruktur“. Dabei geht es um eine vor allem ökonomisch orientierte Idee von Universität.
Einerseits sollen möglichst viele Studierende in möglichst kurzer Zeit abschließen, also schnell zu Arbeitskräften werden. Andererseits soll aber auch die Steuerung, wie man so schön sagt, verschlankt
werden. Diese beiden Tendenzen haben miteinander zu tun. Sie stehen im selben Geist der ökonomischen Effizienz. Wenn wir so über Bildung nachdenken, hat das allerdings auch mit einer bestimmten
eingeschränkten Vorstellung von Demokratie zu tun. 

Fraueneder: Wie eine Gesellschaft über die Funktion einer Universität und ihre demokratische Verfasstheit nachdenkt, ist natürlich entscheidend. Sind Universitäten allein Zulieferbetriebe für die Wirtschaft?
Welche Rolle spielt in so einem Zusammenhang der Moment der Kritik, der das demokratische  Gemeinwesen ja ausmacht? Wie viel Raum wird ihm gegeben? Das kann man wiederum im Kontext der Schwächung der Geisteswissenschaften sehen. 

UN: Bekommt das Ziel der Freiheit, das gerade im Entwicklungsplan der Universität festgeschrieben  wurde, vor diesem Hintergrund noch mal eine andere Bedeutung? 

Fraueneder: Ich würde sagen, dass der Freiheitsbegriff, so wie er im Entwicklungsplan steht, ganz eng an die Kunst geknüpft ist und sich dahingehend die Formulierung von Zielen einer Kunstuniversität ganz radikal von den Zielen anderer Universitäten unterscheiden soll. Freiheit wird in diesem
Sinne ja auch verknüpft mit dem Zeichensetzen. Die Kunst setzt Zeichen. Natürlich auch kritische Zeichen, die eine gesellschaftspolitische Dimension haben. Diesen Freiheitsbegriff gemeinsam mit dem  Zeichensetzen der Kunst erachte ich auch gerade deshalb, weil er so selbstverständlich scheint, als extrem wichtig. 

Lepschy: Also ich verstehe es auch als eine Erinnerung an die Verfassungsartikel 17 und 17a. Die Wissenschaft und ihre Lehre ebenso wie die Kunst und ihre Lehre sind frei. Das ist eine bedrohte Freiheit und es ist fundamental, sich das vor Augen zu führen und sich Gedanken darüber zu machen, was
das bedeutet. Gerade dahingehend, was Aufgabe von Kritik ist in einem Gemeinwesen, in einer Gesellschaft. Da hat eine Universität, zumal eine Kunstuniversität, eine zentrale Aufgabe der Auseinandersetzung, der Reflexion und auch der unmittelbaren Kritik. Eine (Kunst-)Universität ist kein Ort
jenseits, sondern ein durch und durch gesellschaftlicher Ort. Und er ist mit allen Fragen, die eine Gesellschaft stellt, unmittelbar verknüpft.


Alle Infos zum Protest gegen die UG-Novelle: BILDUNG-BRENNT.AT

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 6. März 2021)

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