Hanna Binder ist Schauspielerin, Performance-Künstlerin und Musikerin, die auf der Bühne und im Film zuhause ist. Seit 1. September bringt sie ihre Leidenschaft für Körperarbeit und authentische Bühnenpräsenz als Universitätsprofessorin am Mozarteum in Salzburg ein. Mit vielseitiger Erfahrung aus Theater, Film und Tanz widmet sich Binder nun der Förderung junger Talente, immer mit einem Fokus auf die körperliche Ausdruckskraft und die Menschlichkeit, die das Theater so besonders macht.
„Ich wurde inspiriert, eine bessere Interpretin zu werden“
Die Sängerinnen Donata Meyer-Kranixfeld und Génesis Beatriz López Da Silva geben Einblicke in ihren Studienalltag am Department Oper & Musiktheater an der Universität Mozarteum. Ein Gespräch über die Höhen und Tiefen auf dem Weg zur Opernsängerin.
Ihr steckt beide in den Vorbereitungen für eure Abschlüsse im Master Oper & Musiktheater Ende Juni. Welche Herausforderungen liegen noch vor euch?
Donata Meyer-Kranixfeld: Da ich meinen Master verlängert habe, hatte ich mehr Zeit, mich auf meinen Abschluss vorzubereiten. Ich habe viel gelernt! Ganz besonders möchte ich Volker Wahl (Senior Lecturer für Musikdramatische Gestaltung) hervorheben, der jederzeit unterstützt und hilft, wo er kann. Ich habe die letzten Semester gleichzeitig auch Master Lied & Oratorium studiert, was eine besondere Belastung war. Ich durfte viele Rollen singen, alle diese Rollen haben verschiedene Profile – mir wurde viel ermöglicht, ich konnte mich ausprobieren, viel erleben und zeigen.
Génesis Beatriz López Da Silva: Um ehrlich zu sein, hatte ich zu Beginn keinen klaren Plan, wann oder wie ich meinen Abschluss machen werde. Vieles entwickelte sich im Lauf des Studiums. Erst letzten Sommer begann ich darüber nachzudenken, was ich nach dem Master machen möchte. Das Schwierigste an diesem letzten Abschnitt des Studiums ist für mich, alle Anforderungen und Dokumente für den Abschluss rechtzeitig vorzubereiten, alle Deadlines einzuhalten, parallel dazu eine Rolle vorzubereiten und jeden Nachmittag zu proben – das ist eine Herausforderung für mich!
Gibt es Meilensteine, die euch im Lauf des Studiums besonders in Erinnerung geblieben sind, oder Menschen, die eure Entwicklung als Sängerinnen maßgeblich beeinflusst haben?
Donata: Für mich gibt es drei Situationen, die ich stark in Erinnerung habe: Meine allererste Erfahrung auf der Opernbühne als Fairy in Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ im ersten Semester meines Bachelorstudiums, meine erste wirkliche Hauptrolle, auf deren Schultern eine ganze Oper lastet (als Governess in Brittens „The Turn of the Screw“) und eine Erfahrung im Zuge meines zweiten Studiums Master Lied & Oratorium: Ich habe im Mai 2023 die Sopranpartie in Vaughn Williams‘ „A Sea Symphony“ unter der Leitung von Jörn Andresen gesungen. Das war meine erste Erfahrung mit großem Orchester und Chor. Hier konnte ich die ganze Power meiner Stimme ausnutzen, in einem Werk, das mir mittlerweile sehr viel bedeutet.
Génesis: Meine Gesangsprofessorin Juliane Banse war definitiv entscheidend für meine stimmliche Entwicklung, auch die Zusammenarbeit mit Alexander von Pfeil und Gernot Sahler war eine äußerst bereichernde Erfahrung: Man lernt, mit verschiedenen Situationen umzugehen, die auf das Theater und das „wirkliche Leben“ vorbereiten. Die Pianist:innen aus dem Operndepartment und der Gesangs- und Liedabteilung haben mich dazu inspiriert, eine bessere Interpretin zu werden und mich immer zu fragen, wie ich meine Emotionen besser ausdrücken, meine Musikalität perfektionieren kann. Auch die Arbeit mit Schauspiel- und Körpertrainingslehrenden war intensiv, ich habe gelernt, auf meinen Körper (und Geist) zu achten. Dank ihnen fühle ich mich als ganzheitliche Künstlerin. Unsere Professor:innen waren immer da, um mit einer positiven Einstellung zu helfen und uns zu unterstützen. Für all dieses Lernen bin ich unglaublich dankbar.
Kommt es vor, dass ihr euch mit einzelnen Rollen gar nicht anfreunden könnt? Und umgekehrt: Gibt es die eine Rolle, mit der ihr euch sofort identifizieren konntet und bei der von Beginn an klar war, wie ihr diese anlegen wollt?
Donata: Ich konnte mich am besten mit der Lucieta in Ermanno Wolf-Ferraris „Il campiello“ und der Governess in „The Turn of the Screw“ identifizieren. Beide Figuren kämpfen mit ihren Dämonen, auf sehr unterschiedliche Weise. Die Musik beider Komponisten hat mich zwar sehr gefordert, aber sobald sie „in der Stimme“ war, hat es unglaublich viel Spaß gemacht, sie zu singen. Die schwierigste Rolle – in einer generell herausfordernden Produktion – war die der Second Woman in „Dido & Aeneas“ von Henry Purcell mit dem Prolog und Epilog „Elissa“ von Henry Fourès: Es war das erste Mal, dass ich eine Uraufführung gesungen habe, der Wechsel zwischen Ensemble und Rolle war für mich schwierig.
Génesis: Meine Rolle als Carolina in Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ bereitete mir anfangs Kopfschmerzen, ich hatte noch nie eine atonale Oper gesungen. Ich musste akzeptieren, dass es lange dauert, sich an diese Harmonien zu gewöhnen. Aber das Ensemble und die Regie von Alexander von Pfeil machten diese Produktion zu etwas ganz Besonderem für mich, ich habe musikalisch und schauspielerisch sehr viel gelernt. Die Dorabella in Mozarts „Così fan tutte“ war eine Herausforderung auf vokaler und physischer Ebene; sie zu singen fühlte sich an wie ein dreistündiger Marathon ohne Pause. Aber die Rolle war entscheidend, um meine stimmtechnischen Fähigkeiten zu festigen. Am meisten konnte ich mich mit der Figur der Mrs. Herring aus Brittens „Albert Herring“ identifizieren. Es fiel mir von Anfang an leicht, die Figur, ihre Motivationen und ihre Körpersprache zu verstehen. Ich ließ mich von der typischen „kontrollierenden lateinamerikanischen Mutter“ inspirieren, um dieser Figur Form zu verleihen (Anm.: Génesis stammt aus Venezuela).
Bleibt auch nach mehreren Semestern jede:r als angehende Künstlerpersönlichkeit für sich, oder ist für euch ein starker Zusammenhalt innerhalb der Opernklasse spürbar?
Donata: Ich bin in meiner Klasse die Verbindung zwischen zwei „Generationen“. In den ersten Jahren war der Zusammenhalt wunderbar, man konnte sich immer auf die anderen verlassen und die Arbeit, egal wie anstrengend sie wurde, hat immer Spaß gemacht. Ich glaube, hier hat uns Covid sehr zusammengeschweißt. In den letzten Jahren habe ich gelernt, auf mich selbst zu hören und meinen Instinkten zu vertrauen. Ich habe Kolleg:innen, die immer für mich da sind und denen ich vor allem auf der Bühne blind vertrauen kann. Bei anderen lernt man Professionalität und auch, dass es immer Persönlichkeiten geben wird, mit denen man nicht so gut zurechtkommt.
Génesis: Alles hängt vom Ensemble und seinen Dynamiken ab. In allen Produktionen, an denen ich im Laufe meines Studiums beteiligt war, wurde das Ensemble am Ende wie eine Familie. Die meisten Menschen suchen danach, sich gegenseitig zu helfen und die Kommunikation klappt fast immer gut. In meiner Erfahrung bevorzugen nur wenige Menschen die Individualität. Ich persönlich fühle mich wohler bei der Arbeit in einer Gruppe mit einem Gefühl der Zugehörigkeit und Einheit.
Wie geht ihr mit dem Druck um, auf der Bühne „funktionieren“ zu müssen und die bestmögliche künstlerische Leistung zu erbringen, während in der Garderobe vielleicht persönliche Animositäten ausgetragen werden? Schließlich kann man sich seine Bühnenpartner:innen nicht aussuchen … Habt ihr das Gefühl, im Rahmen des Studiums auch für solche Situationen im zwischenmenschlichen Bereich das nötige Rüstzeug erhalten zu haben?
Donata: Hierzu kann ich die vage Antwort geben: Jein. Man muss für sich selbst herausfinden, wie man Probleme nicht an sich heranlässt und ein gutes Arbeitsklima schafft. Geredet wird überall, Tatsachen werden falsch weitergegeben, Dinge werden falsch verstanden etc. Aber man wird immer Leute finden, mit denen es super läuft und auf deren Energie man sich auf und hinter der Bühne freut.
Génesis: In solchen Fällen hilft es mir persönlich, einen kühlen Kopf zu bewahren und mir bewusst zu machen, dass ich ein Profi bin und es mein Ziel sein muss, dem Publikum eine Botschaft zu vermitteln. Es gibt immer Menschen, die auf mich und meine Arbeit vertrauen und ich muss mein Bestes geben. Man muss lernen, Grenzen zu setzen und das Persönliche vom Beruflichen zu trennen. Diese Kompetenzen lernt man nicht an der Universität, sondern in der Praxis durch den Umgang mit verschiedenen Menschen und Situationen.
Mit den Rollen der Alice in Verdis „Falstaff“ bzw. Marcellina in Mozarts „Le nozze di Figaro“ verabschiedet ihr euch aus euren jeweiligen Opernklassen. Habt ihr Pläne, wie es danach weitergeht?
Donata: Ich glaube, wir wünschen uns alle das Gleiche: von der Musik leben zu können. Ich habe durch meinen Master noch ein Jahr „Schonfrist“. Aber auch jetzt heißt es: vorsingen, vorsingen, vorsingen – bei Agenturen, Wettbewerben etc. Jede Person, die Feedback gibt, ist ein Input mehr, der die Sicht auf Dinge verändern kann.
Génesis: Aktuell habe ich die Ehre, die Rolle der Dorabella diesen Sommer erneut im Rahmen des Opernfestivals im Stadttheater Bad Hall zu singen. Danach stehen einige Konzerte mit dem Gürzenich Chor Köln an, darunter das Alt-Solo in Bachs Weihnachtsoratorium. Zudem habe ich mich für das Postgraduate Programm Gesang am Mozarteum beworben, um parallel dazu an Vorsingen und Wettbewerben teilnehmen zu können. Mein aktuelles Ziel als Opernsängerin ist es, einen Vertrag an einem Theater als Mitglied des Solistenensembles zu erhalten.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 16. März 2024)