Im Brennpunkt der Kulturpolitik: Das Mozarteum 1922-1953

03.12.2022
News
© Starchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger

„Das Mozarteum in Not“, „Helfen Sie uns – ein Notschrei des Mozarteums“ – Schlagzeilen wie diese prägten die Salzburger Presseberichterstattung im Frühjahr 1921. Nach vier Jahren Krieg, in denen man den Unterrichtsbetrieb des jungen Konservatoriums hatte aufrechterhalten können, stand das Mozarteum vor dem Aus.

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Das Mozarteum in der NS-Zeit: Festakt anlässlich der Erhebung des Mozarteums zur Reichshochschule im April 1941

Der Trägerverein der Ausbildungsstätte, die Internationale Stiftung Mozarteum, hatte seit geraumer Zeit mit finanziellen Herausforderungen zu kämpfen. Mit der galoppierenden Inflation in den Nachkriegsjahren entwickelte sich das Konservatorium zu einem ‚Fass ohne Boden‘. Händeringend suchten die Entscheidungsträger nach Lösungen zur Sanierung – was folgte, war schlussendlich die Verstaatlichung des Konservatoriums im Jahr 1922. „Das Mozarteum ist gerettet“, konnten die Medien nun titeln.

Diesem Umbruchsjahr 1922 sowie den anschließenden wechselvollen Jahrzehnten bis zur Akademiewerdung 1953 widmet sich Band 2 der Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg. Die in der Sammelpublikation multiperspektivisch beleuchtete Zeitspanne war wie keine andere Phase in der bisherigen Historie der Ausbildungsstätte von politischen Umbrüchen geprägt. Welche Rolle die wechselnden politischen Systeme – Erste Republik, Austrofaschismus, Nationalsozialismus, Beginn der Zweiten Republik unter US-amerikanischer Besatzung – in der Entwicklungsgeschichte des Mozarteums spielten, wie intensiv die Ausbildungsstätte in den Dienst der nationalsozialistischen Kulturpolitik genommen wurde, welche Bedeutung strukturelle, personelle und inhaltliche Kontinuitäten und Diskontinuitäten hatten, diesen und vielen weiteren Fragen widmet sich dieses Buch.

Die Selbstbilder, Fremdzuschreibungen und Identitätskonstruktionen des Mozarteums hatten sich im Laufe ihrer langjährigen Geschichte gerade im Kontext der gesellschaftspolitischen Zeitläufte vielfach gewandelt. 1841 als Teil des Dommusikvereins gegründet, war das Hauptziel jener klerikalen Musikschule, die heimische Kirchenmusik qualitativ hochwertig aufrecht zu erhalten. Eine ‚neue‘ Identität erhielt die Ausbildungsstätte durch die Trennung von ihrem Trägerverein im Jahr 1880 und die Eingliederung in die bürgerlich orientierte Internationale Stiftung Mozarteum. 1914 schließlich erfolgte der Umzug des nunmehrigen Konservatoriums in das Mozarthaus an der Schwarzstraße, heute besser bekannt als Stiftung Mozarteum. Aber nicht die Aufwertung zum Konservatorium und auch nicht der wenige Wochen danach vom Zaun gebrochene Erste Weltkrieg, sondern die eingangs skizzierte Verstaatlichung läutete ein neues Zeitalter in der Geschichte des Mozarteums ein. Diese war an ministerielle Bedingungen, konkret an massive Einsparungsmaßnahmen geknüpft. Lehrendenstellen mussten abgebaut, Fächer eingespart und die Anzahl der Schüler*innen reduziert werden. Als Reaktion auf die von oben verordnete Sparpolitik setzte der damalige Direktor Bernhard Paumgartner in den Folgejahren diverse profilbildende Maßnahmen, um das Image des Mozarteums zu stärken und seine Konkurrenzfähigkeit zu steigern. So wurden unter anderem ein musikhistorisches Seminar installiert, der allgemeine Fächerkanon erweitert, die Lehrerbildungskurse forciert und eine eigene Schulbibliothek eingerichtet. Außerdem präsentierte sich die Ausbildungsstätte mit einer Vielzahl an Veranstaltungen einer interessierten Öffentlichkeit und beteiligte sich aktiv am Salzburger Musikkulturleben. Summa summarum zeichnete sich also am Konservatorium trotz der Weltwirtschaftskrise, die auch hier Spuren hinterlassen hatte, ab Mitte der 1920er Jahre eine Phase der Stabilisierung und Konsolidierung ab. Dieser Zustand blieb auch im Austrofaschismus weitgehend aufrecht. Die politischen Umbrüche ab 1933 zeitigten auf das Konservatorium keine gravierenden personellen oder ideologischen Auswirkungen. Es erfolgten keine politisch motivierten Entlassungen, und dennoch spielte Politik nun erkennbar in den Unterrichtsalltag hinein. So veranstaltete das Konservatorium etwa im Oktober 1934 eine Gedenkfeier mit entsprechenden Reden für den ermordeten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, in den Jahresberichten wurde Bezug auf das neue politische Regime genommen und auch das austrofaschistische, Frauen diskriminierende Doppelverdienergesetz wurde am Konservatorium virulent, wenn auch nicht in letzter Konsequenz vollzogen. 

Im Gegensatz zur Wiener Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst, an der bereits am 12. März 1938 erste rigorose ‚Säuberungsmaßnahmen‘ gesetzt und Lehrende aus ‚rassischen‘ Gründen ‚beurlaubt‘ wurden, markierte der „Anschluss“ an Hitlerdeutschland am Mozarteum zunächst keinen gravierenden Umbruch. Am Konservatorium, das seit Ende des 19. Jahrhunderts als bürgerlich-deutschnational galt, gab es nachweislich bereits 1920 antisemitische Tendenzen – ein Nährboden für nationalsozialistische Einflusssphären war also gegeben, die Personalpolitik war in den pränationalsozialistischen Jahren entsprechend gestaltet worden. Damit ‚bedurfte‘ es beim „Anschluss“ kaum personeller Veränderungen, zumal ein Gutteil des Lehrkörpers bereits als illegale Mitglieder der Partei angehört hatte und der Rest nach dem Umbruch beitrat. Dass Konservatoriumsdirektor Bernhard Paumgartner am 14. März 1938 seines Amtes enthoben wurde, hatte wohl auch, aber bei weitem nicht nur politische Gründe, polarisierte der Mozarteumsleiter doch seit den frühen 1920er Jahren aufgrund seines autokratischen Führungsstils massiv.

Den von oberster kulturpolitischer Spitze für die gesamte „Ostmark“ verordneten Gleichschaltungsmaßnahmen, deren Maßnahmen zur Umsetzung unmittelbar nach dem „Anschluss“ begannen, folgte die „Neuordnung“ des Salzburger Musiklebens. Das Mozarteum wurde in den Dienst der nationalsozialistischen Kulturpolitik genommen, zu einer dreigliedrigen Ausbildungsstätte, bestehend aus einer Musikschule für Jugend und Volk unter der Leitung Cesar Bresgens, einer von Eberhard Preußner geführten Fachschule und einer der Elite gewidmeten Hochschule unter Leitung des Dirigenten Clemens Krauss umgewandelt. Die damit einhergehende Aufwertung zu einer Hochschule 1939 bzw. einer Reichshochschule 1941 führte zu einem enormen Ausbau. Das einstmals provinzielle Konservatorium stand nun im Brennpunkt der Kulturpolitik und avancierte zu einem Aushängeschild der Nationalsozialisten. Der Grat zwischen Vereinnahmung, Mitläufertum und Systemunterstützung war bei Lehrenden und Lernenden oftmals ein schmaler – ganz abgesehen von jenen, die die NS-Politik und -Ideologie vollinhaltlich mittrugen und aktiv agitierten. Die Ausbildungsstätte Mozarteum jedenfalls war kein Opfer, sondern vielmehr Profiteurin des Regimes – die totalitäre Kontrolle des gesamten Musikbetriebes mit all ihren kulturellen wie individuellen Folgen sei dabei immer mitbedacht.

Nach 1945 kamen dem Mozarteum die allgemeinen Bestrebungen einer raschen Revitalisierung des heimischen Kulturbetriebes unter zunächst noch strenger Aufsicht der US-Besatzungsmacht zugute, weshalb der Unterrichtsbetrieb mit teils neuem Personal – ein Gutteil des Kollegiums hatte zunächst noch die Entnazifizierung zu durchlaufen – bereits im Herbst 1945 wieder aufgenommen werden konnte. Die Erhebung zur Akademie 1953 schließlich bedeutete einen Meilenstein auf dem Weg in eine neue, von Professionalität und Internationalität geprägte Ära in der Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg.

Vom Konservatorium zur Akademie. Das Mozarteum 1922–1953 ist Band 2 einer vierbändigen Reihe, deren Einteilung bewusst nicht politischen, sondern innerinstitutionellen Zäsuren folgt. Dieses Konzept ermöglicht es, inhaltliche, strukturelle und personelle Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen und historisch-politische Abschnitte wie die Zeit des Nationalsozialismus nicht isoliert, sondern eingebettet in größere Kontexte zu untersuchen. Die Aufarbeitung der Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg ist ein am Arbeitsschwerpunktes Salzburger Musikgeschichte angesiedeltes Projekt. Der von Julia Hinterberger herausgegebene Band 2 ist im Hollitzer Verlag erschienen und wurde am 21. November 2022 im Wiener Saal der Internationalen Stiftung Mozarteum präsentiert.

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 3. Dezember 2022)

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