Monteverdis amoralischer Stoff

22.06.2022
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Oper L'Incoronazione Di Poppea | © Judith Buss

Persönlicher Ehrgeiz, Egomanie und Sexualität als Machtinstrument: Claudio Monteverdis (1567-1643) „L’incoronazione di Poppea“ ist auch 380 Jahre nach ihrer Entstehung aktuell wie nie. Ein Gespräch mit Gernot Sahler, dem musikalischen Leiter der Opernproduktion.

Mit der frühbarocken Oper, der letzten von Claudio Monteverdi, begeben Sie sich mit den Studierenden zu den Anfängen des heutigen Musiktheaters. Welche Bedeutung hat das Werk heute für junge Studierende?

Die Bedeutung der Opern von Monteverdi für zukünftige Opernsängerinnen und -sänger kann gar nicht hoch genug angesehen werden. Es ist immer wichtig, ja fundamental, sich gerade den Anfängen seiner „Zunft“ zu widmen und die liegt in der Monteverdi-Zeit. Monteverdi hat eine der zentralen „Umbruchszeiten“ der Musikgeschichte maßgeblich mitgestaltet, in der man sich langsam von einer extrem artifiziellen, vor allem vokalen Mehrstimmigkeit verabschiedete, hin zur einfachen Monodie, einem akkordbegleiteten Sologesang, dem Beginn des Generalbasszeitalters. Seine Wortschöpfung der „seconda pratica“ markiert den Übergang von der Modalität hin zur Dur-Moll-Tonalität, von horizontal-melodischem zu vertikal-harmonischem Denken.

 

Welche Herausforderungen sind mit diesem Werk verbunden?

Eine der zentralen Herausforderungen liegt in der konkreten Aufführung dieser Oper. Es wurden damals keine Partituren erstellt. Überliefert ist lediglich die Singstimme, die von einer einfachen Basslinie begleitet und ab und zu mit einer Generalbassziffer versehen wurde. Welche Instrumente wann genau gespielt wurden, kann allenfalls aus Beschreibungen damaliger Aufführungen erschlossen werden. Das bedeutet für uns heute, die Partitur komplett neu zu erstellen, ein letztlich sehr kreativer Akt, der jede Aufführung einmalig macht. Das war auch damals schon so und geradezu Prinzip. Man musizierte mit dem was zur Verfügung stand und passte es den darstellerischen und räumlichen Gegebenheiten an. Bei uns besteht die Continuo-Gruppe aus zwei Cembali, einem Portativ, Laute, Theorbe und Gitarre sowie Viola da gamba und Violoncello, manchmal mit Violone. Das ist schon ein sehr starkes und vielfältiges Continuo, welches man natürlich nicht immer gleichzeitig benutzt. Ergänzt wird dies in den Ritornellen und ariosen Teilen mit einem kleinen Streichorchester, einigen Blockflöten, zwei Zinken und an zwei Stellen mit zwei Trombonen. Die Fassung ist also eine Eigenkreation, aufgebaut auf dem Grundstock der hervorragenden Ausgabe von Alan Curtis, der die venezianische und neapolitanische Fassung vergleicht. Welche Teile man zusätzlich instrumentiert, hängt wesentlich vom eigenen Fokus und der szenischen Umsetzung ab. Regisseur Alexander von Pfeil und ich haben diese „Freiheit“ sehr begrüßt und genossen, gibt sie doch die Möglichkeit, wirklich etwas Eigenes zu schaffen. Das spüren auch die Studierenden, die wir, wann immer es geht, an diesem Prozess beteiligen.

 

Mit Herbert von Karajan und Nikolaus Harnoncourt fanden Monteverdis Opern Eingang in die großen europäischen Opernhäuser. Ist dieses Werk eine Art „Grundstein“ für die Erarbeitung eines Repertoires für junge Künstlerinnen und Künstler?

Bisher nicht, aber es dringt immer mehr ins allgemeine Bewusstsein, welche Bedeutung die von Monterverdi entwickelte und gleich zu einer ersten Vollendung gebrachte musikdramatische Sprache hat. Verwirklicht wird dies zum einen meist in einem sehr angenehmen Tonumfang ohne die absoluten Spitzentöne in Höhe und Tiefe, was für Studierende, die sich in noch stimmlicher Ausbildung befindenden, sehr angenehm ist. Der Fokus kann deshalb viel direkter auf die musikalische Gestaltung und deren szenische Umsetzung gelegt werden. Zum anderen führt der Wechsel zwischen deklamatorisch, fast gesprochenen, aber eben doch gesungenen Rezitativ-Abschnitten und frei kombinierten ariosen Elementen zur Affektgestaltung, die manchmal nur wenige Takte lang ist, insgesamt zu einer großen Flexibilität und Virtuosität im Umgang mit musikdramatischer Darstellung. Dies bildet einen hervorragenden Grundstock im Affektbereich für die gleich darauffolgende Barockmusik einschließlich der Wiener Klassik und darüber hinaus. Insofern kann die Erarbeitung einer Monteverdi-Oper tatsächlich so etwas wie ein „Grundstein“ für alles Weitere sein.

 

Ein Blick auf Text und Handlung: Wie ist das Libretto in die damalige Zeit einzuordnen und welche Wirkung hat das Drama auf die Darstellerinnen und Darsteller?

„L´incoronazione di Poppea“ ist ein radikales Werk. Fast alle Protagonisten sind schuldbeladen, es gibt kaum bis keine „sympathischen“ Charaktere. Die emotionale Wirkmacht des Textes und der Musik dieser Oper ist damals wie heute gewaltig, man berichtete, „die Damen hätten im Publikum die Contenance verloren“, und das in einer Zeit, in der Verlust der Selbstkontrolle gesellschaftlich nicht geduldet wurde. Direkte emotionale Wirkung zu erzeugen war eines der Hauptanliegen Monteverdis. Nerone ist bei uns ganz Herrscher - ganz Kind und in dieser Kombination liegt der Zündstoff. Er will Kraft seiner Machtposition die Dinge nach völlig eigenem Belieben verändern. Infantile Egomanie, emotionale Übersensibilität mit gleichzeitiger extremer Gefühlskälte, mit diesem Charakterprofil ist er ein gefundenes Opfer für Poppea, der jedes Mittel der Verführung recht ist, um skrupellos an die absolute Macht zu gelangen. Diese unglückselige Kombination reißt alle Beteiligten in einen Strudel der Gegengewalt, lässt Octavia, die amtierende Kaiserin und Gattin, Ottone, den adeligen Offizier mit verletzter Männlichkeit, und Drusilla, Ottavias und Ottones Vertraute, einen Mordkomplott ersinnen, welcher am Ende nicht funktioniert und aufgedeckt wird, auch mit direkter Hilfe der Götterwelt. Man kann es schon in der damaligen Zeit „starken Tobak“ nennen, werden doch die Schwächen der herrschenden Klasse schonungslos zur Schau gestellt. Exzessive Gewalt, offene, auf der Bühne klar angedeutete Sexualität, gepaart mit hoher Emotionalität sind natürlich auch für unsere Sängerinnen und Sänger enorme Herausforderungen, wie sie in der späteren Opernliteratur in dieser Klarheit nur sehr selten vorkommen und erst im 20. Jahrhundert unter anderem mit Schostakowitsch, Strawinsky und dem Expressionismus mit all seinen Gegenreaktionen wiedererscheinen.

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