Perspektivenwechsel

16.12.2024
Interview
© Irina Gavrich

Paul Feigelfeld ist seit Oktober Univ.-Prof. für Digitalität und kulturelle Vermittlung am Institut für Open Arts der Universität Mozarteum. Er erforscht transkulturelle Ansätze zur Medien- und Wissensgeschichte, kritische Perspektiven auf Technologien und deren Schnittstellen zu Kunst und Design.

Sie beschäftigen sich mit Kultur- und Medienwissenschaften. Welche Bedeutung haben diese Wissenschaften für die Gesellschaft heute?

Kultur- und Medienwissenschaften gehören zu den wichtigsten Fächern, die es im Augenblick gibt, weil sie in alle Lebensbereiche hineinstrahlen. Wir leben auch nicht erst seit heute in einer Wirklichkeit der Medientechnologien. Das betrifft uns als Wissenschaftler:innen, als Künstler:innen, aber auch als Bäcker:innen oder Schlosser:innen. Daher ist es wichtig, ein Denken zu entwickeln, das sich kritisch damit auseinandersetzt, wo die Dinge herkommen und natürlich, wohin sie führen. Und idealerweise kann die Wissenschaft gestaltend in Prozesse eingreifen.

Ihr transkultureller Forschungsbereich sowie kritische Perspektiven auf Technologien umfassen einen großen Bereich. Das klingt fast nach Spagat.

Diese Themenbereiche gehören zusammen und man kann sie nicht ohneeinander denken und behandeln. Transkulturell heißt in dem Fall, dass wir uns nicht nur ansehen, wie sich bestimmte Entwicklungen in unterschiedlichen Kulturen vollziehen oder vollzogen haben, sondern wie in unterschiedlichen kulturellen Schichten, in der Hochkultur, in der Subkultur oder sogar in einer Pilz- oder Bakterienkultur oder verschiedenen Kunstbereichen damit umgegangen wird. Es geht um eine dreidimensionale Betrachtung dieses Themengebiets, weil Medientechnologien nur im Vollzug relevant sind. Wir nutzen sie im selben Maße wie sie uns. Dieses Verständnis fordert einen sehr umfassenden Blick.

Wie kamen Sie zu Ihrem Forschungsbereich und was ist das Spannende daran?

Ich habe mich immer schon für Wissenschaft und Kunst interessiert, auch für das Sitzen zwischen den Stühlen. Zu Beginn meines Studiums in Berlin widmete ich mich zunächst den Kulturwissenschaften und fand ein sehr diverses Studienumfeld vor. Mein Mentor und späterer Chef Friedrich Kittler beschäftigte sich mit Medienwissenschaften, noch bevor es dieses Fach als solches gab. Ich gehöre – in den späten 70er-Jahren geboren – einer „Zwischengeneration“ an, in der einige mit, einige ohne Computer aufwuchsen. Ich ohne. Meinen ersten Computer bekam ich mit 19 Jahren. Ich sah mich als Mensch der Sprache und Literatur, hatte keine Ahnung von Computern, aber die „blöde Idee“, Informatik zu studieren, um mir dieses Wissen anzueignen. Es lag mir überhaupt nicht, aber ich schloss das Studium ab. Ich versuche den Studierenden nun mitzugeben, dass interdisziplinäres Studieren oder transdisziplinäres Arbeiten das Beste ist, das man tun kann. Durch den notwendigen Perspektivenwechsel bekommt man ein viel plastischeres Bild. So lernte ich technologisch-naturwissenschaftliche Methoden auf der einen Seite und kritisches und künstlerisches Denken auf der anderen Seite. 

Sie arbeiten für Kunstinstitutionen wie das Haus der Kulturen der Welt (HKW) Berlin, Vitra Design Museum und das Museum für angewandte Kunst Wien, zuletzt als Gastkurator der Vienna Biennale 2019 mit „Uncanny Values. Künstliche Intelligenz & Du“. Wie sieht Ihre Tätigkeit dabei aus?

Bei der Ausstellung im MAK 2019 war ich Gastkurator, zwei Jahre zuvor wissenschaftlicher Berater bei der Ausstellung „Hello Robot“, so habe ich das Haus kennengelernt und eng mit der Kuratorin Marlies Wirth zusammengearbeitet. Wir hatten genug Zeit, die Ausstellung „Uncanny Values“ auf 1400 m2 vorzubereiten, es war eine tolle Zusammenarbeit. Wir konnten Arbeiten kommissionieren, die danach um die Welt gereist sind. Wir wollten etwas machen, was zu diesem Zeitpunkt noch wirklich ungesehen war: eine große Museumsschau zum Thema KI und Kunst. Wir versuchten nicht nur zu zeigen, was man mit KI Tolles machen kann, sondern auch jene paar Künstler:innen, die sich damals bereits kritisch mit diesem Thema auseinandersetzten. Die Frage war auch, welche historischen Positionen es braucht, wie man diese Kunst verständlich machen und dadurch die Technologie entschleiern kann. Andererseits gab es einen klaren Bildungsauftrag. Wir stellten einen großen Vermittlungsteil auf die Beine, in dem wir rund 30 Themen möglichst klar darstellten und einen Kosmos in Form einer langen Wandinstallation eröffneten. Wir wollten eine Schwelle überwinden, um Menschen unterschiedlichsten Alters Zugang zum Thema zu ermöglichen. Das hat sehr gut funktioniert.

Von Berlin und Wien zurück nach Salzburg. Haben Sie einen besonderen Salzburg-Bezug?

Es gibt mehrere. Meine Mutter kommt aus Bad Ischl, ich habe Familie am Wolfgangsee und meine baldige Frau, Mavie Hörbiger, hat sechs Jahre im Jedermann mitgespielt. Zuerst die „Werke“, dann als erste Frau in der Rolle des Teufels. Deshalb haben wir sechs Jahre lang die Sommer hier verbracht. Das heißt, ich bin der Region schon mein Leben lang verbunden und muss nicht erst ankommen, ich fühle mich hier schon sehr zuhause.

Was werden Ihre Arbeitsschwerpunkte in den kommenden Jahren sein?

Das Spannende ist, dass sich an der Universität Mozarteum gerade ein Wandel vollzieht und neben den altehrwürdigen Fächern, in denen das Mozarteum Weltspitze ist, Raum für etwas Neues entsteht. Neues, das nicht im Gegensatz zur klassischen Musik steht, sondern diese erweitern soll. Am Institut für Open Arts, in dem wir einen sehr weiten Kunstbegriff weiterentwickeln wollen, wird im kommenden Jahr das Masterstudium „Open Arts“* eingeführt. Es folgt der Idee, ein Studium zu entwickeln, das auf die Komplexitäten dieser Welt mit komplexen Fähigkeiten antwortet. Es wird sowohl künstlerische Praxis und Theorie als auch kritisch-wissenschaftliche und technologische Methoden vermitteln, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert, aber auch, um transformativ in diese eingreifen zu können. Wir wollen zeigen, dass es in der Komplexität der Welt eine Verantwortung gibt, egal, welche Künstler:innenpersönlichkeit man ist. Kunst ist Vermittler:in, egal ob gewollt oder ungewollt. Wir bauen gerade das „X-Reality-Lab“ und im Rahmen dessen ein Data-Arts-Forum, mit der Aufgabe, viele Türen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Mozarteums zu öffnen bzw. überhaupt erst zu finden. Es gibt viel mehr Durchlässigkeiten und interessante Dialogmöglichkeiten, als man denkt. Wir haben viel zu sagen und sind nicht nur die Kaderschmiede für die Topmusiker:innen dieser Welt, sondern auch ein sehr interessanter Ort für diese Diskurse und solche, die wir noch gar nicht kennen. 

Welche mediale Zukunft zeichnet sich bereits ab?

Wir wollen in naher Zukunft international vernetzte Forschungsprojekte nach Salzburg holen. Dazu gibt es bereits viele Gespräche. Derzeit ist KI ein großes Thema, aber KI wird bald so normal sein, wie es das Internet jetzt schon ist. Es wird wieder neue Themen geben. Daher ist es wichtig, eine kulturelle, aber auch eine wissenschaftlich-künstlerische Sensibilisierung zu entwickeln, die uns jetzt schon spüren lässt, was als nächstes kommen wird, welchen Entwicklungen wir vorgreifen können und müssen oder was wir selbst erfinden wollen. Hoffentlich ist es irgendwann auch so, dass wir von der künstlerischen Seite in Technologieentwicklungsprozesse einsteigen.

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten/Salzburger Nachrichten am 14. Dezember 2024)

*vorbehaltlich Senatsbeschluss

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