Die Lust am Tun: 30 Jahre Volksmusikstudium
30 Jahre volksmusikalische Studien und Studienangebote an der Universität Mozarteum: Gemeinsam mit der Hochschule Luzern – Musik begeben sich Lehrende und Studierende der Universität Mozarteum auf Spurensuche zwischen Jodler und Jodel, Tradition und neuen Strömungen.
STRÖMUNGEN - 30 Jahre Volksmusikstudium an der Universität Mozarteum
22. & 23. April 2022, Solitär
Kooperationsprojekt der Universität Mozarteum und der Hochschule Lutzern
„Uns ist es wichtig, dass die Studierenden über den Tellerrand schauen und experimentieren.“
— Anton Gmachl
„Es war ein sehr steiniger Weg“, blickt Anton Gmachl, Lehrender für Volksmusik an der Universität Mozarteum und Obmann des Vereins zur Förderung der Musiklehrer- und Musiklehrerinnen-Ausbildung zurück in die Anfangszeit des Volksmusik-Studiums in den 1990er-Jahren. Schon in den Achtzigern waren die Wartelisten für Volksmusik an den Musikschulen lang, zu wenige Lehrerinnen und Lehrer hatten eine entsprechende professionelle Qualifizierung in diesem Bereich. In anderen Bundesländern gab es Konservatorien, über die der Bedarf zwar teilweise abgedeckt werden konnte, aber nicht in Salzburg. Eine Lücke, die sich 1992 als großer Vorteil erwies. Aus der schwierigen Ausgangssituation gelang es an der Universität Mozarteum, die Volksmusik unmittelbar hochschultauglich zu machen und ein entsprechendes Studium im Curriculum zu manifestieren. „Wir waren damit die ersten, auch wenn es schwierig war, fast über Nacht ein Studium neu aufzustellen. Ab 2002 war es vollwertig und gleichberechtigt zu anderen Instrumental- und Gesangspädagogischen Studien. An erster Stelle steht und stand immer eine hohe Qualität, das ist bis heute so.“
30 Jahre nach dem Start des „Experiments“ bildet das Studium der Volksmusikinstrumente in Salzburg nicht nur einen wesentlichen Teil der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung, auch die ersten Schüler und Schülerinnen der ersten Absolventen und Absolventinnen beginnen bereits ihre Bachelor- und Masterstudien in Harmonika, Hackbrett oder Zither am Mozarteum – in beliebigen Kombinationen mit anderen Instrumenten. „Uns ist es wichtig, dass die Studierenden über den Tellerrand schauen und experimentieren. An der Universität soll man alles ausprobieren können, auch im Ensemblebereich. Dann kann man schauen, ob etwas funktioniert oder nicht, immer mit dem wissenschaftlichen Element des Hinterfragens. Wir wollen das Denken der Studierenden öffnen, die Kreativität fördern. In Zukunft werden wir kreative Köpfe brauchen.“
Das Hinterfragen und Über-den-Tellerrand-Hinausschauen, immer mit Bewusstsein für die Wurzeln, erweist sich zum 30-jährigen Jubiläum nicht nur als zentraler Punkt im Studium, sondern auch in den geplanten Festlichkeiten, die im April gemeinsam mit der Hochschule Luzern – Musik stattfinden. Über eine Anfrage der Schweizer Hochschule zu einem neuen Curriculum, das in Luzern für die Bachelorausbildung geplant war, kam es zu einem Austausch mit nachhaltiger Wirkung. „Wir wurden vergangenes Jahr nach Luzern eingeladen, haben eine Woche gemeinsam geprobt und beim Alpentöne Festival zwei Konzerte gespielt. Das war hochinteressant, den Zugang der Schweizer zur Volksmusik kennenzulernen. In Österreich war die Entwicklung der Volksmusik stark über die (Live-)Bühne definiert: durch Tobias Reiser, das Adventsingen, die Veranstaltungen im Salzburg-Bayrischen Grenzraum und im ganzen Alpenraum. In der Schweiz haben wir dann in großem Kontext einfach alle miteinander musiziert, im großen Orchester. Das war für uns ein völlig neuer Zugang, ist aber eigentlich das Urtypische der Volksmusik.“
Das gemeinsame Musizieren mit Lehrenden und Studierenden in Luzern hat auch bei den Salzburgern im Denken und in der Herangehensweise an diese Musik viel bewegt und ließ dabei wirkliche Freundschaften entstehen. Das heurige, doppelte Jubiläum (30 Jahre Volksmusik an der Universität Mozarteum, 15 Jahre Volksmusik an der Hochschule Luzern) stellt den idealen Anlass dar, um das Erlebte zu feiern und den studentischen Austausch diesmal in Salzburg stattfinden zu lassen. An zwei Abenden sind Konzerte geplant mit Studierenden und Lehrenden aus Salzburg und mit dem „Ensemble Alpini“, bestehend aus Volksmusik-Studierenden der Schweiz, unter der Leitung ihrer Professorin Nadja Räss, einer der bedeutendsten Schweizer Jodlerinnen. Am 22. April findet eine gemeinsame Aufführung in der Bachschmiede in Wals statt, am 23. April wird es anlässlich des Festkonzerts zum 30-jährigen Bestehen der volksmusikalischen Ausbildung im Solitär zu einer lustvollen Gegenüberstellung des Jodelns in der Schweiz („Naturjodler“) und in Österreich („Alpenländischer Jodler“) kommen, bei der auch das Publikum zum Mitmachen eingeladen wird.
„Es bricht gerade irrsinnig viel auf“, sagt Anton Gmachl und nennt etwa Herbert Pixner, der die Harmonika auf die Bühne bringt oder die Oberkrainer-Musik und die Tanzmusik, die aktuell wieder eine Renaissance erleben. „Jetzt werden Sachen wieder neu entdeckt und erfunden, die vor 70 Jahren schon mal da waren. Es gibt wieder die Lust am Tun. Und deshalb ist es uns wichtig, dass wir unseren Studierenden einen pädagogischen, künstlerischen Werkzeugkoffer mitgeben, sodass sie für ihre spätere Tätigkeit bestmöglich gerüstet sind.“ Das gelebte Experimentieren, die Freiheit, die Anton Gmachl seinen Studierenden vermittelt, zeigt sich nicht nur in Projekten wie jenem mit der Hochschule Luzern, sondern auch in spontanen Jamsessions mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Jazz- und Popbereich, wie sie in der Studierendenlounge am Mirabellplatz 1 bereits öfters stattfanden. Volksmusik sollte eher als ein Überbegriff für einen Zugang an das Musizieren als solches gelten, für Lieder, die nachgepfiffen werden und zum „Gassenhauer“ werden, ist Anton Gmachl überzeugt. „Das ist vielleicht auch ein Ziel für die nächsten 30 Jahre, die Volksmusik noch hoffähiger zu machen, andere Besetzungen zu ermöglichen, kreativ an die Musik heranzugehen, tolerant gegenüber anderem zu sein. Dadurch hat die Volksmusik auch nie ein Ende, sie wird sich immer weiterentwickeln. Junge Komponisten und Komponistinnen, die die Harmonika kennen und sich mit ihr beschäftigen, möchten wir jetzt auch wieder motivieren, etwas für die Harmonika zu schreiben.“
Anfang der 1990er-Jahre ahnte niemand, dass sich der Trend um die Harmonika so lange halten würde. Die aktuelle Nachfrage nach volksmusikalischer Ausbildung wird wohl auch weiterhin nicht ganz gedeckt werden können, aber an der Universität Mozarteum wird der Anspruch an die hohe Qualität akademischer Professionalisierung in Zukunft noch weiter vertieft. Studierenden die „alten Hadern“, die Urgesteine und Vorbilder der Volksmusik zu vermitteln, ist ein Aspekt, den Anton Gmachl für die Herausarbeitung der wissenschaftlichen Perspektive und für die Vermittlung anvisiert. „Wenn wir von Volksmusik reden, reden wir von der Volksmusik der letzten 70 Jahre. Jetzt kommen neue Strömungen hinzu – was die Volksmusik von heute ist, werden wir erst in 50 bis 70 Jahren wissen.“
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 4. März 2022)