Hanna Binder ist Schauspielerin, Performance-Künstlerin und Musikerin, die auf der Bühne und im Film zuhause ist. Seit 1. September bringt sie ihre Leidenschaft für Körperarbeit und authentische Bühnenpräsenz als Universitätsprofessorin am Mozarteum in Salzburg ein. Mit vielseitiger Erfahrung aus Theater, Film und Tanz widmet sich Binder nun der Förderung junger Talente, immer mit einem Fokus auf die körperliche Ausdruckskraft und die Menschlichkeit, die das Theater so besonders macht.
Neue Alte Musik
Blockflötist Max Volbers und Barockviolinistin Mayumi Hirasaki wurden vor Kurzem mit einem OPUS KLASSIK 2023 ausgezeichnet. Ein Gespräch über den lebendigen Charakter der Alten Musik, die Suche nach dem Neuen und die intensive Erforschung des Repertoires am Department für Alte Musik an der Universität Mozarteum.
Bildnachweis: Harald Hoffmann / Theresa Pewal
Der OPUS KLASSIK ist der wichtigste deutsche Musikpreis für Künstler*innen und Produktionen in der klassischen Musik, vergeben vom Verein zur Förderung der Klassischen Musik e.V. Mayumi Hirasaki, Professorin für Barockvioline an der Universität Mozarteum und seit 2011 Konzertmeisterin bei Concerto Köln, wurde in der Kategorie „Konzerteinspielung des Jahres“ für ihre CD „Pi – Pisendel“, die beim Label Berlin Classic erschienen ist, ausgezeichnet, Max Volbers, Blockflötist, Cembalist und Senior Lecturer an der Universität Mozarteum, in der Kategorie „Nachwuchskünstler des Jahres“ für seine CD „Whispers of Tradition“ (Label Genuin).
Allem voran: Herzliche Gratulation zum OPUS KLASSIK! Welche Bedeutung hat der Preis für Sie?
Mayumi Hirasaki: Herzlichen Dank! Für mich bedeutet der Preis eine Anerkennung in mehrfacher Hinsicht: Zuerst die erneute Aufmerksamkeit für die Musik von Pisendel und auch seine Tätigkeit als Konzertmeister
des Dresdner Orchesters. Und dann ist es auch eine Auszeichnung für meine lange Zusammenarbeit mit Concerto Köln und natürlich auch als Solistin!
Max Volbers: Preise sind eine wunderschöne Bestätigung für das, was man tut. Ich empfinde es auch als gut und wichtig, dass die klassische Musik, die normalerweise nicht in der Prime Time läuft, in der zweistündigen Sendung zur Preisverleihung im Hauptabendprogramm so präsent war. Wir sind keine Sportler:innen, die man daran messen kann, wie schnell sie gelaufen sind. Künstlerische Leistungen sind schwer zu vergleichen, deswegen ist bei solchen Jury-Preisen natürlich immer auch eine kleine Prise Glück dabei. Umso schöner, dass es geklappt hat! Und ich freue mich natürlich auch riesig für mein Instrument, dem ja immer noch oft das Klischee des Einstiegsinstruments anhängt.
Sind Preise auf diesem Niveau für jüngere Musiker:innen besonders wichtig?
Volbers: Preise motivieren natürlich, gleichzeitig sollten sie nicht das künstlerische Hauptziel sein, das man verfolgt, sonst ist man auf dem Holzweg. Vielleicht klingt es seltsam aus meinem Mund, weil ich selbst
noch recht am Anfang bin, aber im Musikstudium müssen wir manchmal aufpassen, dass die Studierenden durch medial stark präsente Preise und Wettbewerbe, vor allem aber durch die sozialen Medien, den Fokus auf das Entscheidende nicht verlieren. Man sollte sich zu Beginn des Studiums nicht darauf konzentrieren, Fanpages in Social Media aufzubauen. Man muss erst mit Volldampf gut werden, bevor man die Karriere anschiebt – damit man den Anforderungen einer solchen überhaupt gewachsen ist. Platt gesagt: Als Uni sind wir der Ort fürs gut werden, nicht so sehr fürs berühmt werden. Dennoch müssen wir die Studierenden auf „die Welt da draußen“ vorbereiten, und dazu gehört so viel mehr, als sein Instrument gut zu bedienen. Darum ist es so wertvoll, dass wir ein tolles Career Center haben!
Sie sind beide am Department für Alte Musik tätig. Wie aktuell ist Alte Musik im Klassik-Bereich?
Hirasaki: Ich denke, dass die historische Aufführungspraxis längst ihren festen Platz in der klassischen Musikszene gefunden hat. Aktuell sind wir an einem Punkt, an dem es sich lohnt, sich nicht auf den Erfolgen unserer Vorgänger:innen auszuruhen, sondern ohne Kompromisse intensiv weiterzuforschen und unsere Erkenntnisse in der Arbeit zu vertiefen.
Volbers: Der Grundgedanke der Alte-Musik-Bewegung ist eigentlich nicht, isoliert sein eigenes Süppchen zu kochen, sondern langfristig eine Umgebung zu schaffen, in der Erkenntnisgewinn, neue Ideen, das Abschütteln von Konventionen im Vordergrund stehen. Und dass diese Art, Musik zu begreifen und aufzuführen, in andere Repertoirebereiche ausstrahlt – was genau das ist, was passiert: Die großen Barockorchester spielen jetztWagner und Schumann und viele „moderne“ Orchester spielen Bach selbstverständlich mit Barockbögen. Am Mozarteum Alte Musik machen zu dürfen, ist wunderbar: Wir sind in recht kurzer Zeit einer der weltweit führenden Standorte geworden, haben ein großartiges Kollegium und international renommierte Lehrende.
Mayumi Hirasaki, Sie sind als virtuose Barock-Spezialistin hochgeschätzt, Max Volbers, Sie als extrem vielseitiger Blockflötist. Wie wurden Sie zu Anhänger:innen der historischen Aufführungspraxis?
Hirasaki: Vielen Dank für das Kompliment! Ich selbst fühle mich aber gar nicht als Virtuosin. Ein Schlüsselerlebnis war das Zusammentreffen mit meiner späteren Lehrerin Mary Utiger beim Internationalen J. S. Bach-Wettbewerb Leipzig 2006. Sie und meine Cembalolehrerin Christine Schornsheim haben mir den Blick auf die historische Aufführungspraxis geöffnet. Andere wesentliche Einflüsse kamen von Giuliano Carmignola, bei dem ich in Luzern studiert habe und von Lorenzo Ghielmi, mit dem mich eine langjährige musikalische Partnerschaft verbindet.
Volbers: Als Blockflötist spielt man zwangsläufig viel Alte Musik, es ist unser Kernrepertoire, auch wenn es viel Neue Musik gibt. Dann kam bei mir das Cembalo dazu, daher war es keine bewusste Entscheidung,
sie kam automatisch über meine Instrumente. Ich habe in meiner Jugend auch viel Klavier gespielt, aber das Gefühl von absoluter Freiheit – im Rahmen eines Regelwerks – hatte ich nur in der Alten Musik. Es
ist also schon auch mein Herzensrepertoire.
„Whispers of Tradition“ und „Pi – Pisendel“: Was war Ihre persönliche Motivation für die Einspielungen?
Hirasaki: Neben seiner Bedeutung als Komponist und Geiger hat mich Johann Georg Pisendel auch immer in seiner Funktion als Konzertmeister des Dresdner Orchesters interessiert. Seine Professionalität und besonders seine menschlichen Eigenschaften werden ja von den Zeitgenossen deutlich hervorgehoben. Ich habe das als erstrebenswertes Vorbild für meine eigene Funktion empfunden. Ich wollte den Fokus auf die erstaunliche und wenig bekannte Vielseitigkeit Pisendels lenken.
Volbers: Die Werke auf meiner CD sind ursprünglich nicht für die Blockflöte. Das Bach-Konzert beispielsweise gibt es so gar nicht. Ich habe mir angesehen, wie Bach seine eigenen Werke für andere Instrumente umarbeitet und mit diesen Techniken ein spekulatives Konzert zusammengebastelt. Dann gibt es auf der CD Stücke wie „Pulchra es, amica mea“, die ursprünglich Vokalstücke sind, welche wahre Superhits wurden und es auch über 100 Jahre lang blieben. Damit dem Publikum nicht langweilig wurde, hat man diese Stücke mit immer neuen Verzierungen und in unterschiedlichen Setups, auch instrumental, aufgeführt. Es ist spannend, nachzuvollziehen, mit wie viel unterschiedlichen Techniken man damals vorhandenes Repertoire in neue Formen gegossen hat und zu begreifen, dass man als Interpret dieser Musik durch Anwendung dieser Techniken unglaublich viel beitragen kann, was über Interpretation herausgeht. Und das ist der Kerngedanke meiner CD – was dabei herauskam, ist einerseits alles „argumentierbar“ und andererseits aber auch einfach „meins“.
Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit am Department für Alte Musik, welche in Ihrer künstlerischen Tätigkeit?
Hirasaki: Verständnis der musikalischen Originalquellen und der historischen Instrumente, eine gesunde technische Basis und die Förderung der individuellen Stärken und Interessen.
Volbers: Meine beiden großen Richtungen sind meine solistische Tätigkeit mit der Flöte und das Continuo-Spielen am Cembalo, mit dem ich auch Ensembles leite. Ich kann meine Lehre und meine freischaffende Tätigkeit gut verbinden, es ergänzt sich hervorragend und ich lerne selbst viel durch die Lehre. Wir sind sehr flexibel, das möchten wir auch unseren Studierenden mitgeben: dass sie ihre Nischen finden und sehen, was für sie funktioniert. In der Alten Musik gibt es quasi keine festen Orchesterstellen, daher werden unsere Studierenden mehrheitlich später freischaffend unterwegs sein. Das ist sicher nicht immer leicht, ermöglicht aber auch kreative Freiräume.
Was sind Ihre künstlerischen Pläne für die nahe Zukunft?
Hirasaki: Bis Mitte 2024 bin ich mit dem großen Kantatenzyklus der internationalen Bachakademie Stuttgart beschäftigt. Darüber hinaus habe ich längere Tourneen in Japan, Südamerika und Europa …
Volbers: Im nächsten Jahr werde ich viel mit einem Ensemble arbeiten, dessen Konzertmeisterin Mayumi ist, nämlich Concerto Köln. Im Januar planen wir z.B. ein edukatives Projekt namens „Roots“, bei dem wir
mit Schüler:innen mit Migrationshintergrund an „ihrer“ Musik arbeiten und diese mit seltenst gespielter Barockmusik, etwa aus Südamerika und Syrien kombinieren. Zufällig ist musikalische Migration – in London um 1720 – auch das Thema meiner nächsten Solo-CD.
Gibt es Projekte, die Sie gerne noch realisieren möchten?
Hirasaki: Ich hoffe, ich habe irgendwann mehr Gelegenheit, Cembalo und Orgel zu üben!
Volbers: „Whispers of Tradition“ war ein Teil meines Gewinns beim Deutschen Musikwettbewerb und ich hatte völlig freie Hand in der Umsetzung. Das wünsche ich mir für die Zukunft: diese Art von künstlerischer Freiheit und Unabhängigkeit nie zu verlieren. Und ich möchte mich in den nächsten Jahren mit dem Flageolet auseinandersetzen, einem speziellen Flöten-Typus in Frankreich und England, den heute kaum noch jemand spielt. Wenn mal Zeit ist, würde ich mich dem gerne widmen.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 2. Dezember 2023)