Frühe Zweifel, späte Ehren
Anton Bruckner und die Universität Mozarteum. Ein Rückblick mit Ausblick auf das Gedenkjahr 2024 zu Bruckners 200. Geburtstag.
„… Der Gefertigte ist hiemit so frei, sich wieder um die Stelle eines Dom-Kapellmeisters und artistischen Direktors am Mozarteum in Kompetenz zu setzen, und bittet umgnädige Verleihung dieser Stelle. Schon anno 1861 hat er sich als Komponent um dieselbe Stelle einer Probe im Dirigieren zur allgemeinen Zufriedenheit unterzogen; dieß jetzt gnädigst nachsehen und erlassen zuwollen bittet er…“
(Zweite Bewerbung Anton Bruckners als Kapellmeister des Dommusikverein und Mozarteums 1868)
Zwei Mal hatte sich der damalige Linzer Domund Stadtpfarrorganist Anton Bruckner in den Jahren 1861 und 1868 um die Leitung des Salzburger Dommusikvereins, der Vorläuferinstitution der heutigen Universität Mozarteum Salzburg, beworben – zwei Mal wurde er abgewiesen. Dass man dem enttäuschten Mittvierziger im Anschluss daran immerhin die Ehrenmitgliedschaft verlieh, mag tröstlich und würdevoll gewesen sein – ein „Seidel Bier“, einer der wenigen weltlichen Genüsse, die sich der ehemalige Klosterschüler erlaubt hätte, konnte sich der krisengebeutelte Selbstzweifler davon freilich aber nicht kaufen. Nachträglich gesehen muss man die Salzburger Absage jedoch als entscheidende Weggabelung in Bruckners Biografie bezeichnen. Denn erst diese führte zu jener widerwillig vollzogenen Hinwendung nach Wien, die ihn in der Nachfolge seines berühmten Lehrers Simon Sechter schließlich als Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt am dortigen Konservatorium installieren sollte. Überhaupt ließe sich in diesem Zusammenhang fragen, ob Bruckner seine großen Sinfonien auch als Leiter einer kleinstädtischen Kirchenmusikschule hätte schreiben können, selbst wenn sie sich, wie im Fall des Salzburger Dommusikvereins, direkt auf Mozart bezogen.
Das musikalische Wien war da ein anderes Kaliber und dieser musikalischen Welthauptstadt – der damaligen Zeit! – ist es zu verdanken, dass Bruckner posthum und sozusagen durch die Hintertür schließlich doch noch am Mozarteum in Salzburg Fuß fassen konnte: und zwar in Gestalt des langjährigen Rektors dieser Institution Bernhard Paumgartner (1887–1971). Von seinem Vater, dem in Wiener Kreisen hochgeschätzten Komponisten, Klavierbegleiter und Rezensenten Dr. Hans Paumgartner, früh mit der Begeisterung für Bruckners Werk geimpft, erinnerte sich Bernhard Paumgartner gegen Ende seines Lebens an prägende persönliche Begegnungen mit dem greisen Ansfeldner Meister: „In meiner Knabenzeit bin ich vor der Karlskirche, in der Alleegasse, zuletzt im Belvederepark, im hochgeschossenen Überrock, mit Schlapphut, Bauernschuhen und Harmonikahosen auf einer Bank ausruhend, neben ihm, stehend, seine getreue Wirtschafterin ,Frau Kathi‘. Das letztemal habe ich Bruckner gesehen, als er nach einer vielbejubelten Aufführung seiner ,Vierten‘ in einem philharmonischen Konzert (...) kränklich und abgemagert in einem Tragstuhl über die schlichte ,Künstlerstiege‘ rückwärts aus dem Musikvereinsgebäude herabgebracht wurde“ (aus Paumgartner: „Erinnerungen“). Sicher war Paumgartner auch als leitender Mitarbeiter der ersten Festspielstunde und späterer Festspielpräsident dafür mitverantwortlich, dass Bruckners Sinfonien bis zum heutigen Tag unverzichtbarer Bestandteil des Festspielprogramms sind – in wechselnden Besetzungen zwar, aber in steter Regelmäßigkeit. Dass das Mozarteumorchester Salzburg, das in seiner Gründungszeit ebenfalls von Paumgartner geleitet wurde, nach den 2000er-Jahren zudem einen Zyklus aller Bruckner-Sinfonien unter seinem damaligen Chefdirigenten Ivor Bolton einspielte, mag ein weiteres Indiz dafür sein, wie sehr sich Bruckners oberösterreichischer Dickschädel im Mozart-geprägten Salzburg schließlich durchzusetzen vermochte.
Auf dem Feld der Kirchenmusik gab es hier ohnehin weniger Bedenken. Bruckners Orgelkunst blieb auch für spätere Organist: innengenerationen eine fixe Größe, soweit sie sich durch Ohrenzeugen überliefern ließ, seine Messen und auch die kleineren kirchenmusikalischen Werke übten in Salzburg mindestens bis in die Zeit des langjährigen Domkapellmeisters Joseph Messner (1893–1969) einen starken Einfluss aus. In dieses sakrale Umfeld gehören auch Bruckners A-cappella-Chorwerke, die auf den Konzertbühnen naturgemäß im Schatten seiner Sinfonien stehen, qualitativ aber zu den Höhepunkten romantischer Chormusik zählen. Dass dieser Umstand keiner Laune des Schicksals folgte, sondern sachlichen Gründen, beweist ein Blick in Bruckners Biografie. Von Sechter minutiös in den Palestrina-Stil eingeführt und mit dem speziellen vokalen Zuschnitt dieser Kunst bekannt gemacht, war Bruckner als aktiver Kirchenmusiker zudem innigst mit dem Gregorianischen Gesang und den alten Modi vertraut. Eine schöpferische Leistung ersten Ranges ist es zu nennen, wie Bruckner es gelungen ist, dieses jahrhundertealte kirchenmusikalische Erbe mit den harmonischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts zu verbinden. Und noch ein weiterer Punkt ist ausschlaggebend dafür, dass Bruckner neben der Sinfonie auch die Chormusik bedachte. Nach frühen Erfahrungen als Chorsänger wirkte Bruckner später selbst als ambitionierter Chorleiter, der seine Ensembles, wie etwa die Liedertafel „Frohsinn“ oder den Männergesangverein „Sängerbund“, zu Erfolgen sogar auf internationaler Ebene führte. All dies mag neben offiziellen Aufträgen wie jenem für die doppelchörige „e-Moll-Messe“ anlässlich der Einweihung der Votivkapelle am neuen Linzer Dom im Jahre 1866 dazu geführt haben, dass wir heute im Besitz so kostbarer A-cappella-Chorwerke sind wie Bruckners „Ave Maria“, „Locus iste“, „Christus factus est“, „Os justi“ oder „Virga Jesse“. Seine Ader für mystische Wendungen und Klangrückungen, die man verschiedenen Orts als „erhebend“ bezeichnet hat, stellen Bruckners Vokalwerke weit über das Niveau jener liturgischen Gebrauchsmusik, die im Sinne des aufkeimenden Cäcilianismus seiner Zeit en vogue war.
Insofern ist es also stimmig, wenn die Universität Mozarteum das Gedenkjahr 2024 zu Bruckners 200. Geburtstag mit einem Chorkonzert eröffnet. Am 19. Jänner führt der Kammerchor der Universität Mozarteum unter der Leitung von Univ.-Prof. Jörn Andresen bekannte und unbekannte Chorwerke des Meisters in der Stadtpfarrkirche St. Paul auf. Ganz im Sinne einer universitären Kontextualisierung werden dabei Bezüge zu Vorläufern wie Michael Haydn und Franz Schubert sowie Nachfolgern wie Arvo Pärt und Eric Whitacre hergestellt. Dass auch zeitgenössische Komponisten wie Ola Gjeilo oder Eric Esenvalds Bruckners Klangkunst viel zu verdanken haben, wird darüber hinaus das zweite A-cappella-Projekt des laufenden Studienjahres zeigen, wenn der Kammerchor am letzten Maiwochenende zum Thema „humaNature“ in der Salzburger Kollegienkirche konzertiert. Das Mozarteum wäre aber nicht die in die Breite wirkende Universität, die sie ist, wenn nicht auch Bruckners sinfonisches Schaffen umfassend gewürdigt werden würde. Das Sinfonieorchester – jüngst mit Mahlers Erster im Haus für Mozart erfolgreich – plant für Herbst 2024 die Aufführung einer der großen Sinfonien des Meisters. Davon, dass die Universität das Bruckner-Jahr neben diesen künstlerischen Projekten auch wissenschaftlich begleiten wird, ist ebenfalls mit Sicherheit auszugehen.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 2. Dezember 2023)
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19.1.—20.1.2024
A-Cappella Konzert (Ort: Salzburg & Bad Reichenhall) Der große musikalische Jahresregent 2024 ist Anton Bruckner. Ganz Symphoniker und Kirchenmusiker, war Bruckner auch ein ambitionierter und erfolgreicher Chorleiter.Konzert· Eintritt frei!