Wer bin ich?
Über 330 Jahre nach der Uraufführung der einzig vollständigen Oper von Henry Purcell komponiert der französische Komponist Henry Fourès einen musikalischen Rahmen für Dido und Aeneas und nennt ihn Elissa. Ein Gespräch mit Rektorin Elisabeth Gutjahr, die das Libretto dazu verfasst hat.
Mythen erzählen immer vom Gewesenen, aber auch von einem Vergangenen, dessen Folgen bis heute anhalten, somit vom Werden und Gewordensein – von uns. (Michael Köhlmeier) Im von Henry Purcell (1659–1695) melodiös vertonten Liebesmythos zwischen Dido und Aeneas nach dem Libretto von Nahum Tate begeht sie Selbstmord, weil er sie verlässt. Wie sehr ärgert Sie dieses Narrativ?
Elisabeth Gutjahr: Über das Narrativ muss ich schmunzeln, es weist auf ein Wunschdenken nach einer schönen Geschichte mit potentiell großer Fallhöhe hin, auf einen großartigen Liebestod – genährt aus der Erzählung von Vergil, dessen Aeneis die Grundlage für das Libretto lieferte, kunst- und lustvoll von Purcell in Musik verwandelt. Nebenbei ist anzumerken, dass sich diese Liebesgeschichte so gar nicht zugetragen haben kann, weil zwischen den historischen Lebzeiten von Elissa-Dido und Aeneas einige Jahrhunderte liegen. Sie war die Gründerin Karthagos und damit Herrscherin eines prosperierenden, mächtigen Handelsreichs. Die Geschichte des Aeneas erscheint bei genauerer Betrachtung wesentlich blasser. In Troja lebte er wohl noch mit seiner Frau, deren Spur sich nach Aeneas‘ Abschied von der Insel verliert. Dann gibt es noch den gemeinsamen Sohn, der zum Zeitpunkt der Flucht minderjährig war, und einen Vater, der ihm auf den Schultern sitzt. Für mich zeichnet dies das Bild eines Mannes, der eine große Last mit sich trägt und sich aus der Erfüllung der ihm aufgetragenen Aufgaben definiert. Eher ein Randheld des Trojanischen Krieges, dominiert vom Vater und dem Willen der Götter. Elissa-Dido war mit Sicherheit die interessantere Figur, damit bildet sie auch eine willkommene Projektionsfläche für römische Fantasien. Ein Vergil hätte es vermutlich nicht verkraftet, dass eine Frau einen Mann leidenschaftlich begehrt, ohne sich damit in eine Abhängigkeit zu begeben. Vielleicht wäre es auch sie gewesen, die Aeneas weiterschickt, allein um ihrer Freiheit Willen. Man kann also durchaus imaginieren, dass mann ganz nach dem eigenen Dafürhalten getextet hat. Tatsache ist, Elissa hatte ein langes und erfülltes Leben, als Herrscherin sehr erfolgreich. Aeneas hingegen brachte weisungsgemäß seinen Sohn dorthin, wo dieser dann Rom gründen sollte.
Sie sind seit 2018 Rektorin der Universität Mozarteum und treten mit Elissa erstmals seit einigen Jahren auch wieder als Librettistin in Erscheinung. Was hat sie an einer zeitgenössischen Rahmenerzählung zu Dido und Aeneas gereizt? Wer ist Ihre Elissa?
Was mich zum einen besonders gereizt hat, ist der Freiraum, mit dem wir heute auf diese Geschichten blicken können, historisch, kulturell und ästhetisch. Wir können uns eine viel schillernde Elissa-Dido vorstellen. Die vielen möglichen Lesarten des Plots fanden in 25 frei platzierbaren Versen des Librettos Ausdruck, die ich auf Deutsch verfasste. Lediglich ein originales Lied, das von den Jahreszeiten erzählt, sollte Pro- und Epilog ein sprachliches Aroma aus der Zeit verleihen. D.h. nicht die Purcell’sche britische Barockgeschichte in die Verlängerung schicken, sondern auch Wüste, Sand, Meer und Migration mitnehmen. Henry Fourès hat die Verse schließlich gesetzt, auf Deutsch begonnen, ist dann ins Englische gewechselt und hat Laute aus afrikanischen Sprachen eingefügt.
Zum anderen soll Elissa königlich sein dürfen, selbstbestimmt handeln und denken. Sie weiß, was sie tut und worauf sie sich einlässt. Dass sie das Rohe und Grenzgängertum eines Aeneas, der mit seinen Mannen gleichsam als Flüchtling körperlich gezeichnet vom Meer her kommt – womöglich gereizt hat. In diesen Zeiten war das Patriarchat nicht die einzige Gesellschaftsform. Es ist zwar der Beginn der ersten großen griechischen, patriarchalischen Klassik, aber Kleopatra und andere Frauenfiguren, die in unserer Lesart immer gescheitert sind und sterben mussten, haben merkwürdigerweise doch eine ganze Menge geschafft. Dieser Blick von außen, fast so, als würde Elissa-Dido von heute aus auf die römisch-barocke Erzählung blicken und sich ein wenig darüber amüsieren, ohne etwas anzuklagen, das gefällt mir. Alles hat seinen Platz, und wir sind uns gleichzeitig darüber im Klaren, dass wir in Spielarten agieren, die wir noch längst nicht überwunden haben. All diese Mythen sind ja wie Bilder, die in uns ruhen und weiterleben. Und wenn wir damit kreativ umgehen, sie überschreiben und weitererzählen, lernen wir auch immer etwas für uns selber und für die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Das finde ich auch für die Studierenden schön, die hier selber mitdenken und gestalten können. Sie haben bei dieser Produktion die seltene Möglichkeit, eine Repertoire-Oper zu singen, gleichzeitig beim Entstehen einer neuen Musiktheaterepisode mitzuwirken, sie können Perspektivwechsel ausprobieren und sind eingeladen, sich zu erproben.
Elissa ist nicht die erste Zusammenarbeit mit dem französischen Komponisten Henry Fourès. Was gefällt Ihnen an seiner Musik bzw. wo treffen sich seine Musik und Ihre Sprache?
Henry Fourès komponiert und konzipiert immer für die Realisation, den Moment, da die Musik erklingt, d.h. nicht das Ausreizen theoretischer Konzeptionen prägt sein Schreiben, vielmehr konzentriert er sich auf die Erzählkraft und die tönernde Architektur der Musik – Klang, Rhythmus, Stille, Energie. Das mag ich sehr, weil das auch ein anderes Hören ermöglicht. Seine Zusammenarbeit mit von Luc Ferrari lässt sich aus seiner Musik heraushören. Luc Ferrari hat viel mit Soundaufnahmen gearbeitet, in Werken wie Presque rien beispielsweise ist ein Nachthimmel zu hören, ohne dass er explizit illustriert wird. Dieses Hineinlauschen in Realitäten oder Utopien empfinde ich als überaus poetisch. Henry Fourès lässt solches in seine Kompositionen einfließen, und es gibt Momente bei ihm, in denen man Wasser hören kann oder Wind oder Landschaft. Sounds, die sich ganz unprätentiös in die Musik hineinmischen.
Kai Röhrig leitet die Produktion musikalisch und dirigiert, Rosamund Gilmore führt Regie. Worauf kann sich das Publikum freuen?
Was ich an Elissa sowohl in Pro- als auch in Epilog sehr gelungen finde, ist das Verweben eines sehr modernen Klangs mit Instrumenten, die wir vorwiegend aus der Alten Musik und dem Klangbild historischer Aufführungspraxis kennen. Der Barockoper von Henry Purcell nähert man sich im Prolog fast wie mit einem Schiff, das am Rand der Geschichte ankert, dann im Epilog aber wieder abfährt in eine ungewisse Zukunft. Diese Klanggeschichte ist überaus schön und sehr fein instrumentiert.
Über die Regie sollte man wissen, dass es in Siena (Italien), wo sowohl Elissa als auch Dido und Aeneas im Rahmen einer Barocken Sommerakademie im August aufgeführt werden, praktisch keinen Bühnenkasten gibt. Rosamund Gilmore musste also eine Lösung finden, die ein aufwändiges Bühnenbild ersetzt, und hat einen riesigen Haufen Kleider auf der Bühne drapiert, der wie ein nachttrunkenes Meer zahlreiche Assoziationen freilegt. Es beginnt atmosphärisch und aus diesem Meer tauchen Gestalten auf, fast wie Flüchtlinge an einem Strand. Mit Bezug zu heute und damals, der sich dann wieder in etwas Abstraktem auflöst. Diese Wechsel finde ich sehr gelungen. Insgesamt hat das ganze Team aus Lehrenden und Studierenden meinen Respekt – es ist eine außergewöhnliche Produktion.
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Elisabeth Gutjahr ist Professorin für Rhythmik und seit 2018 Rektorin der Universität Mozarteum Salzburg. Seit 1989 schreibt Gutjahr Libretti für Opern und Texte für Musik. 2021 trat sie als Regisseurin von Peer Gynt im Tiroler Festspielhaus Erl in Erscheinung.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 10. Juni 2023)
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18.6.202311:00 UhrMax Schlereth Saal
Portraitkonzert Henry Fourès Vor der Uraufführung von „Elissa“ heißt die Universität Mozarteum den französischen Komponisten in Salzburg willkommen. Henry Fourès ist am Klavier und im Gespräch zu erleben, Studierende spielen seine Kompositionen.Konzert· Eintritt frei (Öffnet in neuem Tab)