Hanna Binder ist Schauspielerin, Performance-Künstlerin und Musikerin, die auf der Bühne und im Film zuhause ist. Seit 1. September bringt sie ihre Leidenschaft für Körperarbeit und authentische Bühnenpräsenz als Universitätsprofessorin am Mozarteum in Salzburg ein. Mit vielseitiger Erfahrung aus Theater, Film und Tanz widmet sich Binder nun der Förderung junger Talente, immer mit einem Fokus auf die körperliche Ausdruckskraft und die Menschlichkeit, die das Theater so besonders macht.
Hörbares Erinnern: Erika-Frieser-Kammermusiktage 2022
Wider das Vergessen: Als Cécile Chaminade (1857–1944) zwei Jahre vor ihrem Tod auf ihr mit ca. 400 Kompositionen äußerst produktives Leben zurückblickte, wirkte sie skeptisch: „Ich hoffe, nicht vergessen zu werden.“ Diese Hoffnung sollte sich nur bedingt erfüllen, wurde bis vor wenigen Jahren aus ihrem umfangreichen Schaffen doch fast nur noch das Concertino für Flöte op. 107 gespielt.
Die posthum versiegende Rezeption ist ein trauriges Schicksal, das diese französische Komponistin, die übrigens zu Lebzeiten vielerorts als „Hit-Komponistin“ von eigenen Fanclubs gefeiert worden war, mit vielen ihrer schöpferisch tätigen Kolleginnen ebenso teilte wie ein zeitlebendes Arrangieren bzw. Ankämpfen gegen Geschlechterstereotypen und Rollenerwartungen. Erhöhte eine musikalische Grundausbildung höherer Töchter zwar deren Chancen auf dem Heiratsmarkt, so war eine öffentliche musikalische Professionalisierung, besonders für verheiratete Frauen, lange Zeit ausgeschlossen.
Kräfte zweiter Ordnung ohne Genie
Zudem wurden besonders Dichter und Denker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht müde, eine geschlechterideologische Genie-Rhetorik zu propagieren, die als geistiges Erbe Jean-Jacques Rousseaus anzusehen ist: „Die Weiber, im Ganzen genommen, lieben keine einzige Kunst, sind in keiner einzigen Kenner – haben durchaus kein Genie.“ (Jean-Jacques Rousseau, Lettre à d’Alembert sur les spectacles, 1758) Wagten es Frauen dennoch, diese gewissermaßen ‚natürliche Ordnung‘ zu ignorieren und zu komponieren, so wurden sie zwar mehr oder weniger zähneknirschend geduldet, aber regelmäßig auf ihre Plätze bzw. in klare Gattungsgrenzen verwiesen: Als „Kräften zweiter Ordnung“ wurden ihnen Lieder sowie andere kleine Formen und lyrische Klavierstücke zugestanden. Doch für die männlich konnotierten Sonaten, Streichquartette, Orchesterwerke oder Opern fehle ihnen angeblich der erforderliche „höhere Geist“ – so oder ähnlich nachzulesen in der Neuen Berliner Musikzeitung vom 1. Mai 1850 und zahlreichen anderen musikkritischen Schriften dieser Zeit. Dagegen gibt sich beispielsweise noch im Jahr 1908 Cécile Chaminade kämpferisch: „Ich glaube nicht, dass die wenigen Frauen, die in der Kunst Großes geleistet haben, die Ausnahme sind, sondern ich denke, dass das Leben für Frauen hart war; [... Die Frau] ist behindert worden, und nur wenige haben es durch die Kraft der Umstände oder durch ihre angeborene Stärke geschafft, dieses Handicap zu überwinden ... In der Kunst gibt es kein Geschlecht. Genie ist eine unabhängige Eigenschaft.“
Vom Handicap zum Gendergap
Die Musikgeschichtsschreibung und die traditionelle Musikforschung waren trotzdem lange Zeit rein der westlichen ‚hohen‘ Musikkultur verbunden, die sich auf die Beschäftigung mit einzelnen Komponistengenies wie Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig v. Beethoven und Richard Wagner konzentrierte – also jenen großen Namen, deren Werke einen festen Repertoirekanon ausbilden konnten, der bis heute die Programme von Konzert- und Opernveranstaltern bis hin zu Musikhochschulen dominiert. Diesem Fokus sind nicht nur, aber vor allem, Komponistinnen zum Opfer gefallen, deren schöpferische Tätigkeit nicht in das Raster der Geschlechterpolarisierung passte, sowie generell musikkulturell handelnde Frauen, deren „Aktivitäten, Erfahrungen und Räume des historischen Interesses nicht würdig erschienen.“ (Gisela Bock) Die Folgen dieser historischen Gegebenheiten bezeichnete die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger einmal sehr treffend als „weißen Fleck auf der Landkarte der Musikgeschichte“, der bis heute u.a. als Gendergap in Programmen und Spielplänen großer europäischer Klassikbetriebe wirksam ist. Genügt schon ein kurzer Blick in Festival- und Konzertprogramme der zeitgenössischen Musikszene im deutschsprachigen Raum um festzustellen, dass Komponistinnen in diesem Feld unübersehbar an Präsenz und Prominenz gewonnen haben, so besteht im weitaus größeren Bereich der klassischen Musik nach wie vor Aufholbedarf – vor allem hinsichtlich der überfälligen Aufführung und Würdigung der Werke und Lebensumstände von „vergessenen“ Komponistinnen (und natürlich auch Komponisten) voriger Jahrhunderte.
„Vergessene“ hör- und sichtbar machen
Dabei wäre es heute verhältnismäßig leicht, Komponistinnen aus der Vergangenheit eine Bühne zu bieten. Denn spätestens seit Ende der 1970er- und Anfang der 80er- Jahre hat die Frauenforschung innerhalb der Musikwissenschaft Erstaunliches geleistet und unzählige Komponistinnen und vielfach sogar deren Werke aufgespürt und in entsprechenden Schriften und Noteneditionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In Salzburg hat die Rezeption von Komponistinnen schon seit einigen Jahren Tradition u.a. in Form der Aktivitäten der Maria-Anna-Mozart-Gesellschaft Salzburg oder dem Verein Orchesterprojekt, mit denen das Institut für Gleichstellung und Gender Studies der Universität Mozarteum gerne und regelmäßig kooperiert. Im Mai 2021 wurde dann von Biliana Tzinlikova, Pianistin, Lektorin für Klavier und habilitierte Dozentin für Klavierkammermusik an der Universität Mozarteum, mit den Erika-Frieser-Kammermusiktagen eine weitere Initiative gesetzt: „Die Idee und die Programme der Erika-Frieser-Kammermusiktage habe ich mit dem Hauptgedanken konzipiert, wenig bis völlig unbekannte Werke von Komponistinnen an unserer Universität zum Klingen zu bringen. Das Entdecken, Lernen und Präsentieren all dieser Kammermusikkompositionen setzt sich für ein ausgewogeneres Repertoireverhältnis zwischen Werken von Komponistinnen und Komponisten jeden Geschlechts ein, fördert zugleich auch Neugier bei unseren Studierenden (eine immens wichtige Eigenschaft!), lässt über den eigenen Tellerrand hinausblicken und eröffnet neue Horizonte. So können wir hoffen, dass die nächsten Generationen von Musikerinnen und Musikern aus eigener Erfahrung und Überzeugung zu einer Erneuerung des Repertoirekanons beitragen“, formuliert Tzinlikova ihre Ziele und fährt fort: „Zudem ist Vielseitigkeit bzw. (mehr) Diversität im Repertoire ein zentraler Punkt, wenn es darum geht, auf dem heutigen Musikmarkt bestehen zu können – und gerade als konzertierende Pianistin und Pädagogin lege ich Wert darauf, solche lebenspraktischen Zugänge zum Beruf ktiv zu fördern. Außerdem brauchen neue, ‚vergessene‘ oder noch gar nicht entdeckte Komponistinnen eine Lobby aus starken, möglichst prominenten Interpretinnen und Interpreten als Führsprechende, die ihren Einfluss auch bei großen, traditionellen Konzertinstitutionen geltend machen können.“ Aus diesem Grund bilden auch in diesem Jahr wieder namhafte Lehrende und Studierende der Universität Mozarteum die exzellenten Interpretinnen und Interpreten der Erika-Frieser-Kammermusiktage. Gewidmet ist dieses Festival übrigens seiner Namensträgerin Erika Frieser (1927–2011), einer Frau, die als langjährige Duo-Partnerin von Gerhard Mantel, Mitglied des Beethoven-Trios sowie des Wiener Trios vor allem aber auch als erste weibliche Professorin für Klavierkammermusik in der Geschichte der Universität Mozarteum ebenfalls nicht vergessen werden soll.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 3. Dezember 2022)