Kompositionen aus weiblicher Hand: Auftakt für die Erika-Frieser-Kammermusiktage
Sie war die erste weibliche Professorin für Klavierkammermusik in der Geschichte der Universität Mozarteum, langjährige Duo-Partnerin von Gerhard Mantel und Mitglied des Beethoven-Trios. 2021 ist sie Namensgeberin eines Festivalformats, das sich am 15. und 16. Mai in drei hochkarätig besetzten Konzerten erstmals dem kompositorischen Schaffen von Frauen durch die Jahrhunderte widmet: Erika Frieser. Unter den Mitwirkenden der Kammermusiktage: Juliane Banse, Andreas Martin Hofmeir, Klara Flieder, Enrico Bronzi, Christine Hoock, Pietro De Maria, u.a. sowie Studierende – die Konzerte werden live übertragen!
„Eines der ersten prägenden Erlebnisse für mich – damals noch Studentin am Mozarteum – war ein Absolventenkonzert der Klavierkammermusikklasse Erika Frieser. Daraus entstand dann auch die Idee, der ersten weiblichen Professorin für Klavierkammermusik in der Geschichte des Mozarteums die Ehre zu erweisen“, so Biliana Tzinlikova, Initiatorin der ersten Erika-Frieser-Kammermusiktage und Leiterin einer Klasse für Klavierkammermusik an der Universität Mozarteum. Die Mission: dem kompositorischen Schaffen von Frauen eine größere Bühne geben. „Viele Werke von Frauen haben (noch) nicht den Platz bekommen, den sie verdienen. Gewohnheiten und eingefahrene Rollenbilder sind dafür verantwortlich, der unvoreingenommene Blick ist daher gefragt und wohl die wichtigste Voraussetzung für einen Dialog auf Augenhöhe.“
„Von Licht und Schatten und überreichen Ausdruckspaletten“ erzählt das Programm des ersten Konzertabends, das mit Amy Beachs (1867–1944) Suite for Two Pianos Founded upon Old Irish Melodies op. 104 (1924) eröffnet und gleich zu Beginn in eine düstere, melodisch und harmonisch stark chromatisch gefärbte Klangwelt eintaucht. Als sehr erfolgreiche Konzertpianistin war Amy Beach eine der ersten bedeutenden Komponistinnen ernster Musik in den USA. Das Liedprogramm des Abends folgt einem inhaltlichen roten Faden aus Einblicken in empfindsame, suchende Künstler*innen-Seelen und deren Reflexionen künstlerischen Tuns, die in Naturbildern enggeführt werden. Auch in den Biographien lassen sich bemerkenswerte Parallelen und Verbindungslinien herstellen: Sie alle drehen sich um Paris im weitesten Sinne. Die zu Lebzeiten vor allem durch ihre zahlreichen bittersüßen Salonstücke und Lieder berühmte und heute vor allem für ihr Concertino für Flöte und Orchester op. 107 bekannte Pianistin und Komponistin Cécile Chaminade (1857–1944) wurde ebenso in Paris geboren und privat ausgebildet wie die zeitlebens kranke und sehr jung verschiedene Lili Boulanger (1893–1918), die 1913 als erste Frau überhaupt den Grand Prix de Rome der französischen Gelehrtengesellschaft Académie des Beaux-Arts in Paris gewann, der traditionell mit einem Studienstipendium für einen Aufenthalt an der Académie de France in Rom einherging.
Junge (französische) Künstler*innen genau dieser Akademie traf wiederum Fanny Hensel (1805– 1847), die für kurze Zeit in Paris privat studiert hatte und selbst während ihrer Italienreise 1839/1840 Salons zum künstlerischen Austausch in Rom veranstaltete. Dabei zollte ihr nicht nur der frisch gekürte Rome-Preisträger Charles Gounod höchste Anerkennung als Komponistin und Pianistin, auch eine gute Bekannte gab sich die Ehre: Pauline Viardot-Garcia (1821–1910), Opernsängerin, Pianistin, Komponistin, Gesangspädagogin, Herausgeberin, multitaskende Salonière (wie Fanny Hensel) und, nicht zu vergessen, gebürtige Pariserin. Paris ist nicht zuletzt auch jene Stadt, in der die in Finnland geborene und bereits mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen gewürdigte Komponistin Kaija Saariaho (*1952) seit 1982 bzw. ihrem Studium am Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique lebt. Henriëtte Bosmans’ (1895–1952) opulente, hochexpressive Sonate für Cello und Klavier (1919) ist noch in der spätromantischen Tradition verwurzelt und besticht durch eine breite Ausdruckspalette und extreme Kantabilität sämtlicher Themen. Das Lamento für Tuba und Klavier (1977) von Sofia Gubaidulina (*1931) stellt einen klanglich dunklen, instrumentalen Klagegesang dar, der die barocke Tradition des Seufzermotivs mit einer stark chromatischen, post-tonalen Musiksprache verbindet. Das Stück resp. sein Titel kann durchaus als Reaktion der Komponistin auf ihre Situation im repressiven sowjetischen Regime gesehen werden, das ihre Kompositionen diffamiert und verboten hatte.
Meisterwerke aus drei Generationen „moderner“ Komponistinnen erklingen im Rahmen des zweiten Konzerts. Galina Ustvolskaja (1919–2006) studierte von 1940 bis 1947 Komposition bei Dmitri Schostakowitsch am Leningrader Konservatorium. Ihr Trio für Klarinette, Violine und Klavier entstand kurz danach, 1949, während ihrer an das Studium anschließenden Aspirantur. Ustvolskajas Kompositionen zeichnen sich durch eine unverkennbare Klangsprache von kompositorischer Radikalität und Konsequenz in der Ausarbeitung des musikalischen Materials aus. Johanna Doderer (*1969) widmete ihr 2. Klaviertrio (DWV 52) von 2009 dem gut 200 Jahre zuvor verstorbenen österreichischen Komponisten Franz Joseph Haydn (1732–1809). Durchdachte musikalische Architektonik und Leichtigkeit stellen Bezüge zu dem wichtigen Neuerer und Wegbereiter der Wiener Klassik her. Doderers Komposition ist ein postmodernes und posttonales Werk. Sie scheut nicht vor tonalen Allusionen und Erinnerungen zurück. Ihre Komposition wirkt erfrischend, energiegeladen und ermöglicht es an vielen Stellen, Verbindungen zur Leichtigkeit der Musik der Wiener Klassik herzustellen. Rebecca Clarke (1886–1979) komponierte 1921 ihr Klaviertrio, das ihr den 2. Preis beim Coolidge International Prize in Berkshire in den USA eintrug. Der Tritonus erweist sich in motivischer und harmonischer Hinsicht als zentraler Baustein in diesem Stück. Clarkes Komposition beeindruckt mit einer konsequenten kompositorischen Durcharbeitung des musikalischen Materials.
Unter dem Motto „Wegbereiterinnen“ steht das Programm des dritten Konzerts. Es beginnt mit dem Quartett für 4 Violinen von Grażyna Bacewicz (1909–1969), einer der wohl bedeutendsten polnischen Komponistinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie war die erste, die internationalen Ruf gewonnen hat und sich in einer patriarchal und konservativ geprägten polnischen Musikwelt behaupten und die Lanze für die Anerkennung komponierender Frauen brechen konnte. Durch die kulturpolitische Doktrin des Sozialistischen Realismus war sie gezwungen, mehr oder weniger widerständige Wege beim Komponieren zu finden, was unter anderem zu einer Synthese aus eleganter, technisch raffinierter, stark neoklassizistisch gefärbter Musiksprache und polnischen Volksmusikthemen führte. Das anschließende Streichquartett C-Dur op. 58 von Dora Pejačević (1885–1923) mit seiner spätromantisch erweiterten, teilweise auch impressionistischen, expressionistischen und atonalen Harmonik weist die Komponistin als „kühnste Persönlichkeit der Harmoniesphäre“ im Kroatien der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts aus, die dort das Tor zu neuen Entwicklungen aufgestoßen hat. Die Französin Louise Farrenc (1804–1875) hat hingegen mit ihrem Klavierquintett Nr. 1 a-Moll op. 30 (1840) pionierinnenhaft versucht im operntrunkenen Paris des 19. Jahrhunderts die intellektuell-anspruchsvolle Kammermusik zu etablieren.
Das Programm für die Erika-Frieser-Kammermusiktage entstand im Austausch mit allen Mitwirken- den. „Es ist mir eine Freude, dass so viele exzellente Musiker*innen, Lehrende und Studierende unseres Hauses daran teilnehmen. Mein besonderer Dank geht auch an das Institut für Gleichstellung und Gender Studies, insbesondere an Michaela Schwarzbauer und Iris Mangeng für deren Unterstützung und ihre unermüdliche Begeisterung, dieses Projekt stattfinden zu lassen“, so Biliana Tzinlikova. Ein begleitendes Programmheft mit umfassenden Texten zu den Konzerten sowie ausführlichen Biografien der Mitwirkenden sowie Erika Frieser entstand unter der Leitung von Iris Mangeng.