In memoriam Wolfgang Billeb

26.06.2024
In memoriam

Unser treu verbundener Alumnus, leidenschaftlicher Musiker (Oboist) und Pädagoge Wolfgang Billeb verstarb im Juni 2024. Im Andenken an ihn, wollen wir seine Erinnerungen an sein Studium an der Universität Mozarteum gerne noch einmal veröffentlichen. Das Gespräch entstand 2014 anlässlich der Feier mit seinen Kommiliton*innen zum 60 jährigen Jubiläum seiner Reifeprüfung am Mozarteum im Juni 1954 mit Ilse Tiebert im Rahmen von „Erzählte Geschichte“ des Kunst-ARCHIV-Raums.

In memoriam Wolfgang Billeb
(1933-2024)

Alumni-Netzwerk

Kunst-ARCHIV-Raum

 

Foto: Ilse Tibert & Wolfgang Billeb

Herr Billeb, wie war es, vor 60 Jahren am Mozarteum zu studieren?

Wir Studierende am Mozarteum kannten uns untereinander sehr bald. Ob Streicher, Bläser oder Sängerinnen und Sänger - wir waren eine große Familie. Wir haben uns alle gemocht, es gab keine Unterschiede oder Unstimmigkeiten unter den Studierenden der verschiedenen Fächer. Wir haben alle Hunger gehabt und waren eine sehr verschworene Gemeinschaft. Ich glaube, das Schwierigste war die Ernährung und das "Leben-Können" überhaupt. 1948 gab es zum Beispiel im Speisehaus Lechner in der Linzer Gasse die Möglichkeit, einen Holzknechtschmarren um 3,50 Schilling zu essen und genau so viel hat ein Oboenrohr gekostet, weil man es sich ja selbst noch nicht anfertigen konnte. Ich habe mir also überlegt, ob ich Mittagessen gehen oder mir ein Oboenrohr kaufen sollte. Wer jedoch über Geld verfügte, konnte sich am Mirabellplatz alles Mögliche beschaffen.

 Wir Studierenden halfen uns oft gegenseitig: Bei einer Prüfung im Fach Instrumentenkunde bei Professor Ernst Reichert sagte ein Geiger zu mir: "Mein Gott, was soll ich nur machen - ich habe nicht genug gelernt.“ Ich dachte „einen Geiger werden sie wohl nicht über die Geige oder die Bratsche prüfen“, und so fragte ich ihn: "Was weißt du denn über die Pauken?" Er antwortete: "Na ja, dass es eine hohe und eine tiefe Pauke gibt.“ Ich erklärte ihm also alles über Pauken, dass es Drehpauken, Maschinenpauken usw. gibt. Kaum war seine Prüfung vorbei, fiel er mir um den Hals und sagte: "Stell' dir vor, der Professor hat mich gefragt, was ich über die Pauke weiß!" 

Wie war das Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden?

Auch das Verhältnis zu den Lehrenden war eher freundschaftlich. Mit meinem Lehrer hatte ich großes Glück: Im Zweiten Weltkrieg hatte es große Verluste auch unter den qualifizierten Musikern gegeben und es war bekannt, dass der langjährige Vorstand der Wiener Philharmoniker, Professor Alexander Wunderer, die Oboenklasse am Mozarteum leitete und zusätzlich Instrumentenkunde unterrichtete. Nichts war mir lieber als unter seine Fittiche zu kommen und ich bin ihm heute noch dankbar, dass er mich damals aufgenommen hat. Es gab damals nur einen Lehrer für die Oboe am Mozarteum. Wir waren auch nur drei Studenten. Professor Wunderer folgten Robert Jäckel und Arthur Jensen als Professoren; ich habe von allen meinen Lehrern unglaublich viel gelernt. Besonders gefallen hat mir auch die Bläser-Kammermusik. Fagott-Professor Ernst Christian Reindl hatte den Schmäh, immer zu Notenwerten und rhythmischen Stellen Texte zu sagen oder zu singen. Man musste an seine Texte denken, wie zum Beispiel bei Lohengrin "Doppelte Gaasch Herr Direktor, doppelte Gage" (Billeb singt den Text) und schon hatte man den richtigen Rhythmus im Spiel. Die Theoriefächer waren manchmal für mich ein wenig zu schwierig. Unsere verehrten Professoren haben verschiedene Kompositionsstile vertreten und machten es uns Studenten nicht einfach, den bei der Reifeprüfung verlangten strengen Tonsatzstil zu beherrschen. So war ich dankbar, dass uns Professor Friedrich Neumann vor der Reifeprüfung noch einmal beiseite genommen und gesagt hat, was das Wichtigste für die Harmonielehre und die Tonsatzprüfung ist.

Wie haben Sie Salzburg erlebt? 

Am Anfang meines Studiums, im Herbst 1948, war ich am Rande der Verzweiflung. Als ich meine Mutter zum Zug begleitet habe und dann allein zu meiner Gastfamilie in die Josefiau gefahren bin, fühlte ich mich total elend. Es war für mich vor allem nicht einfach, da es damals viele gab, die alles, was von Deutschland gekommen war, ziemlich negativ beurteilt haben. Dazu kommt, dass wir wenig über die gesetzliche Situation gewusst haben. Da mein Vater – er war Kapellmeister und Korrepetitor – in den letzten Kriegstagen (2. Mai 1945) gefallen ist, hätte ich als in Österreich lebender Hinterbliebener eines Opfers des Zweiten Weltkrieges von Deutschland Anspruch auf  Studiengeld gehabt. Als wir davon erfuhren, war die Einreichfrist dafür schon vorbei. 

Wie haben Sie sich dann Ihr Studium finanziert?

Na ja, ich habe einfach alles gemacht. Ich habe sogar beim Bau mitgeholfen. Aber dann habe ich gemerkt, dass diese Arbeit viel zu gefährlich ist für die Finger eines Oboisten. Schließlich durfte ich als Orchesterwart für die Sommerakademie des Mozarteums arbeiten. Das war auch die Zeit des Daniel Barenboim, er galt damals als Wunderkind, das im Dirigentenkurs von Igor Markevitsch großes Aufsehen erregte - er war für mich damals ein "junger Bua", der dort dirigierte. Ich war glücklich, im Sommerakademieorchester zu arbeiten und durfte ein Jahr später bereits im Sommerakademieorchester die 2. Oboe spielen.

Wo hat der Unterricht damals stattgefunden? 

In der Schwarzstraße 26, und es war so etwas wie mein Zuhause. Der Zufall wollte es, dass Hans Eder, der die Bibliothek führte, auch ein Oboist war und wir  als Kollegen  viel voneinander gelernt haben. Ich war sehr oft mit ihm zusammen in der Bibliothek. Die Bibliothek war überhaupt ein Treffpunkt für viele Studenten. Wir haben uns untereinander sehr oft ausgetauscht, Probleme gewälzt und diskutiert. Ich hatte dann noch das Glück, Hans Eder in der Bibliothek im Urlaub oder bei Krankheit vertreten zu dürfen, und dafür wurde mir das Schulgeld erlassen.

Hat das gesamte Mozarteum in dieser Zeit in der Schwarzstraße Platz gefunden? 

Das ganze Haus war voll, die Internationale Stiftung Mozarteum war ja auch in diesem Gebäude. Im Zirbenzimmer gab es eine Übungsorgel und in diversen Technikerräumen oder Heizräumen haben die Hornisten und Schlagwerker etc. geübt. Wir haben das ganze Haus vom Keller bis zum Dachboden zum Üben benützt. Dort, wo ich gewohnt habe, hatten wir kein Klavier und wenn ich für das Nebenfach üben wollte, dann musste ich schon um 7.00 Uhr im Mozarteum sein. Denn später kamen die „echten“ Pianisten, die gesagt haben "Du blast ja eh Oboe oder Horn oder Klarinette - du brauchst eh nicht so gut Klavier spielen können". Dann sind wir den tollen Pianisten wieder gewichen. So war es wirklich!

Wie haben Sie Bernhard Paumgartner als Leiter der Institution erlebt? 

Er war Präsident. Doktor Bernhard Paumgartner. Mit Hofrat Paumgartner habe ich mehrere Tourneen in Italien erlebt und er hat uns die kulturellen Werte von Florenz, Padua und anderen Städten sehr gut vermitteln können. Im Herbst 1951 spielte ich mit dem Mozarteumorchester und der Pianistin Clara Haskil unter der Leitung Paumgartners als zweiter Oboist bei vier Konzerten in der Mailänder Scala  und anschließend noch bei zwei Konzerten im Teatro San Carlo in Neapel. Im Frühjahr - ich glaube, es war im März oder April 52 - bildete sich die Camerata Academica in Salzburg, wo wir das erste Konzert der Camerata mitgestalteten. Hans Eder und ich als Oboisten.

Sie haben vor ziemlich genau 60 Jahren die Reifeprüfung am Mozarteum abgelegt. Was kam danach?

 Zuerst hatte ich ein furchtbares Loch, ich glaube, wenn wir ehrlich sein wollen, haben wir das alle, wenn wir flügge sind. Wir hatten etliche Tourneen mit dem Mozarteumorchester oder mit der Camerata - ich war immer genügend gefordert -bis ich mich 1956 entschieden hatte, aus Anlass des Mozartjahres das Seminar für Musikgeschichte bei Doktor Eberhard Preussner zu besuchen. 1958 habe ich das Studium „Privatmusikerziehung mit dem Fach Oboe“ absolviert.

War es für Sie nach Ihrem Studium einfach, einen Job zu finden? 

Jetzt wird's spannend: ich habe mich um ein Probespiel an der Volksoper beworben. Es gab acht Bewerber für die Oboe, davon vier Wiener Oboen (Anm.: Bauform der Oboe, die fast ausschließlich in Wien gespielt wird) und vier Französische Oboen. Ich war der vierte Oboist mit der französischen Oboe, als der Leiter des Probespiels, Hofrat Franz Salmhofer sagte: "Na endlich - a Wiener Oboe". Der viel zu früh verstorbene Solooboist der Volksoper, Jörg Schaeftlein, warf ein: "Sie irren Herr Hofrat, der bläst auch Französische Oboe" - "Ja, der bläst ja ganz anders!" Es spielten dann noch vier Wiener Oboisten vor, und ich habe die Stelle  bekommen. Das war für Salzburg eine Sensation - eine Französische Oboe bekommt die Stelle in Wien! Das hatte ich meinen Professoren zu verdanken: Wunderer und Jäckel lehrten mich die Wiener Oboe und Jensen die Französische Oboe. Ich habe aus meinem Innersten eine Wiener Schule mitgebracht.

Was war Ihr schönstes Erlebnis in Ihrer Zeit am Mozarteum?

Das war sicher der Abschluss meiner Reifeprüfung im Jahr 1954, als ich im Großen Saal des Mozarteums das Oboenkonzert in C-Dur von Joseph Haydn mit Orchester spielen durfte und damit mein Studium erfolgreich beenden konnte.

Was wünschen Sie dem Mozarteum persönlich für die Zukunft?

Ich wünsche dem Mozarteum Studenten mit einem gewissen Können, die sich für die Universität Mozarteum interessieren und dort bei den besten Professoren studieren wollen. Und die dann das dort Erlernte, ihre Fähigkeiten und das, was eben unaussprechlich ist in der Musik, als Multiplikatoren in die Welt weitergeben können.