Die ewig junge Geschichte von Romeo und Julia
Vincenzo Bellinis hochromantische Belcanto-Oper I Capuleti e i Montecchi feiert am 10. Dezember in der Regie von Alexander von Pfeil und unter der musikalischen Leitung von Gernot Sahler Premiere im Max Schlereth Saal. Ein Gespräch mit Maestro Gernot Sahler über Bellinis Erfindungsreichtum und die Herausforderung, mit besonderen Bühnensituationen umzugehen.
10.12.2024 19:00–20:45 Uhr
Warum habt ihr euch für diese Oper, die die berühmteste Liebensgeschichte aller Zeiten, Romeo und Julia, behandelt, entschieden?
Betrachtet man unsere letzten Produktionen, kommen wir von Henzes Elegie für junge Liebende, einer Oper aus dem 20. Jahrhundert, über Mozarts Le nozze di Figaro, einem Werk der Wiener Klassik, nun zum so genannten Belcanto-Stil, hin zum Verismo. Ziel des zwei- bis dreijährigen Masterstudiums Oper und Musiktheater ist immer auch, in möglichst vielen Stilepochen Erfahrungen zu sammeln, um optimal auf den unmittelbar darauffolgenden Berufsalltag vorbereitet zu sein.Außerdem passt die Oper I Capuleti e i Montecchi von Bellini stimmlich ideal zu unserer Klasse: Wir können alle Rollen sehr gut besetzen und jede*r Studierende kann sich optimal entwickeln.
Das Werk wird in einer reduzierten Orchesterfassung für 15 Musiker*innen erklingen, alle Stimmen sind solistisch besetzt. Welche besonderen Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten ergeben sich dadurch für dich als Dirigent, aber auch für das Orchester? Welche Auswirkungen hat der durchsichtige und klare Klang auf die Sänger*innen auf der Bühne?
Die größte Herausforderung einer reduzierten Besetzung ist, dem Originalklang möglichst nahe zu kommen. Andererseits ist eine gute kammermusikalische Transparenz viel leichter herzustellen. Für die kleine bis mittlere Größe des Max Schlereth Saales reicht oft eine solche Besetzung, zumal wenn, wie in unserer Inszenierung, die Orchestergrabensituation zugunsten einer kompletten Raumlösung aufgehoben ist.
Du hast es bereits angesprochen: Gemeinsam mit dem Regisseur Alexander von Pfeil und der Ausstatterin Laura Trilsam habt ihr euch für einen offenen abstrakten Bühnenraum mit verschiedenen Ebenen entschieden, in den das Orchester integriert wird. Es wird keine herkömmliche Orchestergraben-Guckkastenbühne-Situation geben, was sich auch akustisch auswirken wird. Erleichtert das die Arbeit mit den Sänger*innen durch mehr Nähe und unmittelbare Kommunikation? Welche zusätzlichen Aspekte müssen aufgrund der besonderen Bühnensituation beachtet werden?
Das Publikum darf gespannt sein: Die sehr begabte Szenografie-Studierende Laura Trilsam hat ein für den Max Schlereth Saal neues Raumkonzept entwickelt: alles löst sich diesmal bei uns auf, Publikum und Sänger*innen werden sich vermischen, man sitzt „mittendrin“. Das Orchester musiziert aus der Mitte heraus, mal sind die Sänger vor, mal hinter, mal im Orchester. Es ist eine echte Raumlösung geworden und man interagiert kammermusikalisch. In einem Moment stehen die Sänger*innen direkt neben mir, dann wieder haben wir fast keinen Kontakt mehr und man verlässt sich auf das gemeinsame Gespür. Das ist alles sehr spannend und fordernd, macht aber vor allem großen Spaß.
Bellinis melodische Erfindungsgabe war fantastisch, gleichzeitig schreibt er Vortragsbezeichnungen für einzelne Töne. Wie gehst du mit diesem Spagat, den der Dirigent zwischen musikalischem Fluss und punktgenauer szenischer Darstellung überwinden muss, um?
Ich zitiere hier den Musikkritiker und Musikwissenschaftler Guglielmo Barblan: „Man könnte fast sagen, seine (Bellinis) Gesangslinie sei die Synthese eines auf eine einzige Stimme zurückgeführten polyphonen Gedankens, die Verschmelzung von verschiedenen und bisweilen sogar einander widerstrebenden Empfindungen, die allein in der Melodielinie vollendet und zusammengefasst werden. In diesem Streben findet Bellini nur in seinem Altersgenossen Chopin ein Seitenstück.“ Man könnte auch sagen, dass durch die Vereinfachung der harmonischen, kontrapunktischen und instrumentalen Mittel die Bewegung der Empfindungen und die dramatische Bedeutung des Wortes in die einfache Gestalthaftigkeit der Linie erhoben wird. Die Melodie schwebt dadurch „in einem neuen Zauber einer lyrischen Welt.“
Die Rolle des Romeo hat der Komponist einem Mezzosopran zugedacht, das Liebespaar wird somit von zwei Frauen dargestellt. Welchen besonderen Reiz hat das aus musikalischer Sicht?
Der Grund hierfür ist denkbar einfach: Bellini war 1830 im Teatro La Fenice in Venedig mit einem schon engagierten Sänger*innenensemble konfrontiert, in dem es eine großartige Sopranistin und eine ebenfalls geniale Mezzosopranistin gab. Alle anderen Stimmfächer waren nur mit mäßig begabten Sänger*innen besetzt. Er musste als Komponist für eine ausgefallene Uraufführung einspringen und innerhalb von sechs Wochen eine völlig neue Oper schreiben. Eine Anpassung an die vorhandenen Gegebenheiten war also vonnöten. Dazu kommt natürlich, der einer „Hosenrolle“ immanente Reiz, die feminine Sensibilität einer Frau auf einen Mann zu übertragen. Das hat schon immer die Herzen des Publikums erobert. Durch die identischen Stimmlagen ist eine Verschmelzung und Verbindung, bis hin zur Auflösung in eine einzige gemeinsamen Stimmführung möglich, die den Gefühlslagen bei Liebenden äquivalent ist.
Neben großen Arien und Szenen, in denen sowohl Romeo als auch Giulietta ihre Zerrissenheit und emotionale Ausweglosigkeit beklagen, gerät die Handlung immer wieder – gewollt – in den Hintergrund. Ohne dabei dem Regisseur etwas vorweg nehmen zu wollen: Wieviel Gewicht wird bei euch die Innenschau der Protagonist*innen bekommen?
Die ewig junge Geschichte von Romeo und Julia (welche übrigens hervorragend zu einem jungen Ensemble passt), ist schnell erzählt. Viel wichtiger sind die inneren Zustände und psychologischen Entwicklungen, die sich oft in minutenlangen Atmosphären zeigen, welche wiederum durch oben beschriebene Bellinische Melodieführungen optimal umgesetzt werden. Die Innenschau ist also der eigentliche zentrale Bestandteil der Oper.