Eine neue Generation mit Begeisterung für die Bratsche
Muriel Razavi und Sào Soulez Larivière traten mit 1. Oktober ihre Viola-Professuren an der Universität Mozarteum Salzburg an. Beide wurden mehrfach ausgezeichnet, sind solistisch und kammermusikalisch weltweit tätig und investieren viel in die Zukunft der klassischen Musik.
Berühmte Komponisten wie J. S. Bach, W. A. Mozart, L. v. Beethoven und A. Dvořák griffen gerne zur Bratsche. Manche schufen Herausragendes für dieses besondere und vielseitige Instrument und doch ist die Bratsche für viele Musiker*innen nicht die erste Wahl, oft führt der Weg über die Violine und die Liebe zum Instrument entwickelt sich mit dem Spiel. So fällt der Bratsche eine besondere Rolle in der Kammermusik zu: sie ist die Mittelstimme, füllt die Harmonie und „wärmt“ das Ensemble von Innen. Meist ist sie nicht so exponiert wie die Violine und doch strahlt sie aus der Mitte heraus und übernimmt oft lange Melodien oder rhythmisch prominente Einwürfe. Es ist ein Spiel: die richtige Balance in der Mehrstimmigkeit finden und in der abwechselnden Rolle der Solo- oder Nebenstimme aufgehen. Wer denkt, das sei einfach, irrt. Bratschen wurden im Laufe der Jahrhunderte baulich stark verändert, sie gewannen an Korpus und die Klangfülle hat sich vergrößert. Die Weiterentwicklung des Repertoires für dieses Instrument liegt den beiden Künstler*innen Muriel Razavi und Sào Soulez Larivière am Herzen und die Neue Musik bietet sich geradezu an, wobei sie auch ältere, unbekannte Werke neu entdecken wollen.
Ab Oktober werden die beiden ihre individuellen Erfahrungen an Studierende weitergeben. Muriel Razavi wirkte zuvor zwei Jahre als Mentorin an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und unterstützte Studierende bei der beruflichen Vorbereitung auf den Musikbetrieb. „Es geht nicht unbedingt um Perfektion, natürlich muss die technische Basis und ein fundiertes Musikverständnis vorhanden sein, darüber hinaus sind aber die musikalische Kommunikation und die Schwingungen, die wir mit Kolleg*innen auf der Bühne und mit dem Publikum teilen, von großer Bedeutung“ wie Razavi betont. Auch Sào Larivière begann früh, mit jüngeren Künstler*innen und Mitschüler*innen zu arbeiten: „Ich sehe mich auch jetzt als Kollege von jungen Musiker*innen, die miteinander arbeiten und aneinander wachsen. Ich möchte die Freude an der Musik an Studierende weitergeben.“ Beide pflegen eine sehr kollegiale Herangehensweise und möchten gemeinsam mit ihren jeweiligen Studierenden lernen, sie ein Stück des Weges begleiten und ihnen bei der Entwicklung zur Seite stehen. „Es wäre sehr schön für mich, wenn Studierende neben der Technik und dem Repertoire auch etwas für die Zukunft ihrer Identität als Musiker*innen mitnehmen“, wie Larivière erzählt. Razavi ist darüber hinaus überzeugt, dass „eine erfolgreiche Karriere nicht nur im Überaum entsteht“. Sie werde versuchen, den Studierenden die Musikwelt näher zu bringen, indem auch über den „Tellerrand“ der Universität geblickt wird. Die Vermittlung branchenrelevanter Informationen zu Akademien, Probespielen, Ausschreibungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Meisterkursen, Stiftungen sowie das Know-how zur richtigen und angemessenen Vermarktung als Freiberufler*in seien wichtig. Daneben spiele die Konzeption, also die Gedanken hinter der Musik, eine wesentliche Rolle. Beide sehen eine große Bedeutung in der Erarbeitung von interessanten Programmen und dem Erzählen von Geschichten mit der Musik. Auch das soll Studierenden vermittelt werden. Es gehe nicht darum, Instrumentalist*innen an der Universität auszubilden, sondern Musiker*innen in ihrer Entwicklung zu fördern.
Die amerikanisch-iranische Bratschistin Muriel Razavi sieht ihre Arbeit auch durch ihre kulturellen und sprachlichen Hintergründe geprägt: „Musik hat etwas unglaublich Verbindendes. Es ist eine Sprache, die von allen verstanden werden kann und diesen Aspekt möchte ich in meiner Arbeit hervorheben.“ Razavi erwarb neben der musikalischen Ausbildung auch geisteswissenschaftliche Abschlüsse. Sie befasste sich mit Religion, Kultur und Geschichte insbesondere des Vorderen Orients. Mit dem Eintritt in das „West-Estern Divan Orchester“ von Daniel Barenboim und Edward Said bot sich die Gelegenheit, die beiden Interessenfelder zu verbinden. Auch hier war es ein Blick über den Tellerrand, der sie wachsen ließ. Sie forscht zu Re-Orientalismus in der zeitgenössischen Musik iranischer Komponistinnen der „Iranian Female Composers Association“. Diese Arbeit fließt in die Aufführung zeitgenössischer Werke mit ein. „Ganz gleich, ob man Komponist*in oder Musiker*in ist, der Bezug zum eigenen Leben, zur Gesellschaft und zur Politik spiegelt sich in unserer Arbeit wider“, wie Razavi festhält.
Die beiden Bratschist*innen teilen eine stattliche Liste an Auszeichnungen und gewonnenen Wettbewerben und doch sind sie sich einig, dass Wettbewerbe für Musiker*innenkarrieren nicht zwingend notwendig sind. Allerdings wachse man auch mit dieser Herausforderung, und es sei eine gute Übung für Probespiele. Wettbewerbe, die Storytelling und Programm-Konzeption in den Fokus stellen, begrüßt Razavi ausdrücklich. Larivière schätzt die Erfahrung, die man bei Wettbewerben durch das Einstudieren des Repertoires und den Austausch mit anderen Musiker*innen gewinnt. Gefragt nach ihren Wünschen für die Zukunft der klassischen Musik, zeichnen sie ein Bild, das nicht nur für die Musik gilt: Offenheit gegenüber allen Geschlechtern, Nationalitäten und kulturellen Hintergründen. Offenheit gegenüber neuen Abläufen und Formaten in den Konzerten. Vertrauen in die junge Generation und in die Musik der Zukunft. Man könne in Salzburg die Musik regelrecht fühlen und die Freude an der Musik in der Gesellschaft erkennen. Das sind wunderbare Voraussetzungen für die Zukunft. In diesem Sinne: Herzlich willkommen!
Muriel Razavi beschäftigt sich sowohl mit zeitgenössischer Musik, u.a. iranischer Komponistinnen, als auch mit historischer Aufführungspraxis als Barockbratschistin. Sie ist Mitglied des West-Eastern Divan Orchesters unter der Leitung von Daniel Barenboim und des Solisten-Ensembles „Mutter´s Virtuosi“ unter der musikalischen Leitung der Geigerin Anne-Sophie Mutter. Vor ihrer Berufung war sie stellv. Solo-Bratschistin des MDR Sinfonieorchesters Leipzig. Sie studierte bei Tabea Zimmermann, Nils Mönkemeyer und Tatjana Masurenko. Im Jahr 2019 schloss sie ihr Masterstudium bei Wilfried Strehle an der Universität der Künste in Berlin ab. Muriel Razavi promoviert an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter der künstlerischen Betreuung von Daniel Barenboim. Neben ihrem Musikstudium hat Muriel Razavi einen Bachelorabschluss in „Geschichte und Kultur des Vorderen Orients - Iranistik“ der FU Berlin und einen Masterabschluss in „Religion und Kultur“ der HU Berlin. Sie spielt auf einer für sie gebauten Bratsche des französischen Geigenbauers Patrick Robin und eine alemannische Barockviola nach historischem Vorbild von Dorothea van der Woerd.
Der in Paris geborene, französisch-niederländische Bratschist Sào Soulez Larivière ist Mitglied des Frielinghaus Ensembles. Die Zugänglichkeit und Wahrnehmung klassischer Musik sind ihm ein besonderes Anliegen. Kammermusik stand schon früh im Mittelpunkt seiner musikalischen Erziehung und seine Liebe zur Musik teilte er mit seiner Schwester, der Geigerin Cosima Soulez Larivière, mit der er häufig auftritt. Er steht für die Erweiterung des Bratschenrepertoires, arrangiert gerne Werke für sein Instrument und fördert zeitgenössische Musik. In der Zusammenarbeit mit renommierten Komponisten taucht er tief in die kreative Seite der Musik ein. Sào Soulez Larivière begann zunächst Geige zu spielen, bevor er ein Stipendium bei Natasha Boyarsky an der Yehudi Menuhin Schule in England erhielt und dort beim Spielen von Kammer- und Orchestermusik die Bratsche für sich entdeckte. Den Bachelor of Music erwarb er an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin bei Tabea Zimmermann. Derzeit absolviert er das Professional Studies-Programm der Kronberg Academy, wo er auch seinen Masterabschluss erlangte.
(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 7. Oktober 2023)