„Eine kleine Oper-Probe“
Nach einer fulminanten Premiere finden heute und morgen die letzten beiden Aufführungen von „Così fan tutte“ im Max Schlereth Saal statt. Eine Reflexion von Malte Krasting zur Entstehung des dritten und letzten Gemeinschaftswerks von W. A. Mozart und Lorenzo Da Ponte.
Diese Oper muss ihnen so wichtig gewesen sein; und doch wissen wir heute kaum etwas darüber, wie das Werk zustande kam. Fast nichts haben die Autoren uns hinterlassen zur Entstehungsgeschichte ihrer gemeinsamen Oper Così fan tutte. Lorenzo Da Ponte streift das Thema in seinen Erinnerungen: „Für sie (die Sängerin Ferrarese) schrieb ich Il pastor fido und La cifra mit Musik von Salieri, Opern, die keine Epoche in den Annalen seines musikalischen Ruhmes machten, obwohl sie in verschiedenen Teilen sehr schön waren; und La scola degli amanti, mit Musik von Mozart, ein Drama, das den dritten Platz einnimmt unter den Schwester, geboren aus dem berühmtesten Vater der Harmonie.“ Mehr hat er dazu nicht für erwähnenswert erachtet, in seinen ganzen Memoiren nicht. Mozart nennt Così fan tutte nur in den Bittbriefen an seinen Freund und freimaurerischen Logenbruder Michael Puchberg, von dem er sich Geld lieh; es handelte sich um hohe Summen (umgerechnet einige zehntausend Euro). Wohl auch um Puchbergs Vertrauen zu festigen, wies er ihn auf die bevorstehende Fertigstellung des neuen Werks hin und fügte seiner Bitte um 100 Dukaten hinzu, er erwarte im Januar 1790 ein Honorar von „200 Ducaten für meine Oper“ – das Doppelte der üblichen Summe (das sind ca. 30–40 000 Euro heutigen Geldes; ausgezahlt wurden ihm anscheinend allerdings nur 100 Dukaten, die er z. B. auch für Le nozze di Figaro erhalten hatte). In allen seinen Briefen bis zu seinem Tode findet sich von Mozart sonst kein einziges Wort mehr über Così fan tutte. Das ist erstaunlich, denn dieses Werk hatte aus mehreren Gründen große Bedeutung: Seit 1787, dem Jahr der Uraufführung von Don Giovanni, hatte Mozart keine Oper mehr geschrieben; nach zwei Jahren war es der erste große Auftrag; und als vom kaiserlichen Hofe Josephs II. bestelltes Stück war es besonders prestigeträchtig.
Schon Stendhal vermutete 1814 in seiner Biografie Vie de Mozart, dass das Libretto für einen anderen Komponisten geschrieben sei; er nannte irrtümlich Cimarosa, in Wirklichkeit war das Libretto von Da Ponte ursprünglich für Antonio Salieri verfasst worden; Mozarts Witwe Constanze erzählte das 1829 dem englischen Musiker Vincent Novello, der mit seiner Frau eine „Wallfahrt zu Mozart“ unternommen hatte. Salieri habe die Komposition nach kurzer Zeit abgebrochen, weil er den Text „für unwürdig hielt, in Musik gesetzt zu werden“. Während man diese Behauptung lange bezweifelt hat (das damit einhergehende Werturteil allerdings nicht), konnten 1996 zwei Musikwissenschaftler anhand von Skizzen nachweisen, dass Salieri tatsächlich die Oper begonnen hat: Das Terzett Nr. 2 ist komplett in Partitur erhalten, vom ersten immerhin einige Takte, und außerdem ein Rezitativ mit einer bislang unbekannten Szene, in der sich die drei Männer – Ferrando, Guilelmo und Alfonso – streiten. Nach den Uraufführungen der Opera buffa Il pastor fido und dem Pasticcio L’ape musicale, beide im Februar 1789, hatte Da Ponte zwischen Frühjahr und Herbst Zeit für Così fan tutte und musste, vermutlich parallel, auch noch den Text zu La cifra fertigstellen. Mozart kehrte am 4. Juni 1789 von einer Deutschland-Reise zurück nach Wien und bezog eine neue Wohnung. Im August betreute er die Wiederaufnahme von Le nozze di Figaro und schrieb dazu neue Arien für die Sopranistin Adriana Ferrarese del Bene als Susanna, die Geliebte Da Pontes (der für sie auch die Hauptpartie in La cifra konzipierte und sie überhaupt recht offensiv protegierte).
Diese erfolgreiche Vorstellungsserie von Figaro mag aber mit den Ausschlag für die neue „scrittura“, den Kompositionsauftrag gegeben haben – der demnach frühestens Ende August 1789 ausgesprochen worden sein kann: Das wird auch durch die geringe Zahl an Stücken nahegelegt, die Mozart zwischen August 1789 und Januar 1790 in sein Verzeichnüss aller meiner Werke eingetragen hat: Dieser Zeitraum war offenbar fast ausschließlich Così fan tutte vorbehalten. In seinem Verzeichnis nennt er als Gattungsbezeichnung übrigens „Opera buffa“, im Erstdruck des Textbuches heißt es hingegen „Dramma giocoso“.
Im Dezember 1789, als die Oper fast fertig komponiert war, schrieb Mozart an Puchberg: „Donnerstag (…) lade ich Sie (aber nur Sie allein) um 10 Uhr Vormittag zu mir ein, zu einer kleinen Oper-Probe; – nur Sie und Haydn lade ich dazu.“ Am 20. Januar 1790 fand die erste Orchesterprobe statt, zu der er seinen Logenbruder und Gläubiger neuerlich einlud: „Morgen ist die erste Instrumental-Probe im Theater – Haydn wird mit mir hingehen.“ Nur sechs Tage danach, am 26. Januar 1790, wurde die Oper im k. k. National-Hof-Theater, dem heutigen Burgtheater, uraufgeführt; die musikalische Leitung hatte der Komponist. Besetzt war das Stück mit Sängern, die Mozart und Da Ponte teilweise seit Jahren kannten: Adriana Ferrarese del Bene (Fiordiligi), Luise Villeneuve (Dorabella), Dorothea Bussani (Despina), Vincenzo Calvesi (Ferrando), Francesco Benucci (Guglielmo) und Francesco Bussani, Dorotheas Ehemann (Don Alfonso). „Die Behauptung, Luise Villeneuve sei eine Schwester der Ferrarese gewesen, lässt sich nicht belegen. Freilich gäbe dies der Personenkonstellation des Librettos einen besonderen Akzent, zumal laut Libretto die Frauen ausgerechnet aus Ferrara stammen sollen, was sicherlich eine Anspielung Da Pontes auf die Ferrarese darstellt.“ (Jörg Krämer)
Kaiser Joseph II. sah das Werk erst in einer der späteren Aufführungen; zur Premiere hielt er sich noch in Ungarn beim Feldzug gegen die Türken auf. Seine Gesundheit war da schon angeschlagen. Nach (wahrscheinlich) fünf Vorstellungen musste das Stück trotz des anfänglichen Erfolges abgesetzt werden: Am 20. Februar war Joseph seiner Erkrankung erlegen. Am 6. Juni 1790 wurde die Oper wiederaufgenommen und weitere fünf Mal gespielt. Zu Lebzeiten Mozarts gab es noch Inszenierungen in Prag, Dresden, Frankfurt a. M., Mainz, Leipzig (in den deutschen Städten natürlich in deutscher Übersetzung); in Wien wurde sie erst wieder 1794 aufgeführt.
Così fan tutte ist das dritte und letzte Gemeinschaftswerk von Mozart und Da Ponte; mit Le nozze di Figaro und Don Giovanni hatten sie bereits Erfahrung und Erfolg sammeln können. Es ist die einzige der drei Koproduktionen, die nicht auf einer einzelnen literarischen Vorlage basiert. Auch wenn es stoffgeschichtliche Quellen zur Handlung gibt (z. B. Ovids Geschichte von Cephalus und Prokris aus den Metamorphosen, verschiedene Episoden aus Ariosts Orlando furioso – aus diesem Buch stammen das Motiv der Treueprobe und die Namen der Frauen –, Passagen aus Cervantes’ Don Quijote und diverse Stücke von Marivaux), „dürfen wir sie als Da Pontes geistiges Eigentum betrachten, denn abgesehen von der abgekarteten Infamie dieses Spiels (…) hat er zum Quartett der Damen und Herren zwei wesentliche Figuren erfunden, die nur scheinbar dem Buffo-Schema zuzuordnen sind, einzig in ihrer vordergründigsten Präsenz: Despina und Don Alfonso“ (Wolfgang Hildesheimer). Außerdem ist mittlerweile unumstritten, dass „das Libretto Da Pontes zu Così fan tutte als Handwerk die beste Arbeit (ist), die er geliefert hat“ (Alfred Einstein). Da die Handlung und ihre Ausformung also eine eigene Erfindung der Autoren ist – beider Autoren, denn man kann anhand von Textänderungen, die Mozart im Detail vorgenommen hat, seinen Einfluss auf die sprachliche Werkgestalt nachweisen –, muss sie ihnen besonders nahegegangen sein.
In Mozarts Leben hatte es seit Don Giovanni Änderungen gegeben: Um 1787 begannen alte Freunde aus den Quellen zu verschwinden; neue Namen traten an ihre Stelle; die Geldsorgen nahmen zu trotz verhältnismäßig hoher oder ausreichender Einnahmen – woran das lag, ist bis heute ungeklärt; auch die Ehe mit Constanze – die Schwester der Frau, die er einst geliebt hatte – blieb nicht ohne Anfechtung, wie ein Brief Mozarts vom August 1789 eindrücklich belegt: „nur wünschte ich daß Du Dich bisweilen nicht so gemein machen möchtest – mit N. N. machst Du mir zu freye. … – bedenke nur daß N. N. mit keinem Frauenzimmer, die sie vielleicht besser kennen als Dich, so grob sind, als mit Dir, selbst N. N. der sonst ein artiger Mensch ist und besonders für Frauenzimmer hochachtungsvoll ist, selbst er muß dadurch verleitet worden seyn, in seinem Briefe die abscheulichsten und gröbsten Sottisen zuschreiben – ein Frauenzimmer muß sich immer in Respekt erhalten – sonst kömmt sie in das Gerede der Leute – meine Liebe! … – erinnere Dich nur daß Du mir einmal selbst eingestanden hast, daß Du zu nachgebend seyst – Du kennst die Folgen davon – erinnere Dich auch des Versprechens welches Du mir thatst – O Gott! – versuche es nur, meine Liebe! –“
Allerdings blieb auch Mozart selbst von Versuchungen nicht verschont, wie Jean-Baptiste Antoine Suard in seinen Anecdotes sur Mozart (1804) überliefert: „Mozart liebte seine Frau zärtlich, obwohl er sie manchmal betrog. Er wurde von seinen Phantasien derart beherrscht, dass er ihnen nicht immer widerstehen konnte.“ Aber wenn Mozart ein Dreivierteljahr nach der Così-Premiere an Constanze schreibt: „wenn die Leute in mein Herz sehen könnten, so müsste ich mich fast schämen. – es ist alles kalt für mich – eiskalt“ – dann muss sich bei diesem so lebensvollen Menschen Erschreckendes verändert haben, gerade in der Zeit um die Così-Entstehung und -Aufführung herum. All das weist darauf hin, in Così fan tutte ein entscheidendes persönliches Bekenntniswerk zu sehen.
In den 1830er Jahren kamen weitere Hinweise um das Libretto von Così fan tutte auf: Es habe damals, zur Entstehung, Gerüchte um eine wahre Begebenheit in österreichischen Offizierskreisen gegeben; diese hätten der Oper zugrunde gelegen; eventuell habe sogar der Kaiser selbst ausdrücklich gewünscht, dass Mozart sie vertone. Diese Vermutungen sind nicht zu belegen und letztlich eher unwahrscheinlich. Interessant ist diese Diskussion aus einem anderen Grund: Die Annahme einer kaiserlich verordneten Gerüchte-Oper diente nicht nur einer Argumentation zur Verteidigung des Musikers Mozart, den man aus falschverstandener Verehrung nur ungern mit einer vermeintlich frivolen Story in Verbindung brachte – so konnte man sagen, Mozart sei gezwungen gewesen, dieses „jämmerliche Sujet“ (Journal des Luxus und der Moden), diese „Verhöhnung der Liebe“ (Arthur Schurig) zu vertonen –; sie deuten auch auf ein Paradox hin: Das Publikum des 19. Jahrhunderts, das doch so große Probleme mit Così fan tutte und ihrem Untreuebeweis hatte, war trotzdem oder gerade deshalb ernsthaft von der Möglichkeit berührt, dass sich eine solche Geschichte tatsächlich ereignen könnte. Erst mit den maßstabsetzenden Aufführungen von Richard Strauss und Gustav Mahler fand Così fan tutte endgültig Eingang ins Opernrepertoire.